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Das Raupenschneien. [s. l.], 1799.

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Bewegung zu seyn, und sie stellt uns Bilder dar, die der Betrachtung der größ-
ten Gelehrten würdig sind.

Freilig liefert die Geschichte ähnliche Vorfälle, und das, was wir mit
Verwunderung gesehen haben, hat sich ebenfalls schon zugetragen, und wir wollen
nur einen kleinen Auszug aus der Geschichte hersetzen; so werden die respect. Leser
leicht selber einsehen, daß nichts geschieht, was dereinst nicht schon geschehen wäre.

Jm Jahr 1346. entstund in Asien, in dem heutigen Kaiserthum China, auf
einmal eine ausserordenliche Dürre, die Einwohner wußten sich fast vor Wasser-
mangel nicht mehr zu helfen, als plötzlich ein ungewöhnlicher Regen mit einem
starken Winde entstund. Jezt freute sich das ganze Land, denn alle Einwohner
dachten, die Noth sey vorüber; aber sie hatten sehr geirret: denn so bald sie auf
die Strasen kamen, so wurden sie eine große Menge kleiner Schlangen u. eine Art
ihnen ganz unbekannter Würmer gewahr. Die Dürre stellte sich aufs neue ein, und
so entstund, als die Menge von Slangen und Würmern ferfaulte, ein ungewöhn-
licher Gestank, und die Folgen davon waren die Pest, die viel Tausend Menschen
hinweg rafte. Eben so lesen wir in der Ungarischen Geschichte, daß im Jahr 1672
als das Kriegsfeuer in den Niederlanden in vollen Flammen stund, ein solcher
Wurmschnee ganz Ungarn und Deutschland in die größte Verwunderung gesetzt hat.
Es fing nämlich am 20. Nov. des erwähnten Jahres sehr stark in der Gegend und
bey der Stadt Neusohl an zu schneien, und da sich das Wetter wieder verzogen hatte:
so sahe man neben dem Silberthor auf einer großen Aue auf zehnerlei Arten ganz
ungewöhnlicher Würmer auf den Schnee kriechen. Die Kälte war eben damals
so sehr stark, und doch krochen diese Würmer ganzer vier Tage auf den Schnee
herum, ohne daß man hätte sehen können, daß ihnen die Kälte etwas geschadet
hätte.

Auch damals gabs Leute, die die Natur beobachteten; sie sammelten dahero
von jeder Art welche ein, zeichneten dieselben mit aller Sorgfalt ab und hinterlie-
ßen ihren Nachkommen die Zeichnung und Geschichte dieser Würmer zum Anden-
ken. Die meisten von diesen Würmern waren schwarz, hatte 6, 8 bis 10 Füsse,
gelbe Bäuche und Einschnitte gleich den Raupen; doch waren auch röthliche da-
runter. Einige hatte Füsse wie die Spinnen, aber beynahe die Gestalt der Krö-
ten. Unter diesen Würmern herrschte ein Art von Krieg, die schwarzen die doch
weit kleiner waren als die röthlichen, spielten den Meister über die röthlichen, sie
fielen dieselben mit Wuth an, überwältigten sie und frassen sie fast auf. Das Merk-
würdigste bey diesen Würmern war, daß keiner in die Stadt Neusohl gefallen, da

es

Bewegung zu ſeyn, und ſie ſtellt uns Bilder dar, die der Betrachtung der größ-
ten Gelehrten würdig ſind.

Freilig liefert die Geſchichte ähnliche Vorfälle, und das, was wir mit
Verwunderung geſehen haben, hat ſich ebenfalls ſchon zugetragen, und wir wollen
nur einen kleinen Auszug aus der Geſchichte herſetzen; ſo werden die reſpect. Leſer
leicht ſelber einſehen, daß nichts geſchieht, was dereinſt nicht ſchon geſchehen wäre.

Jm Jahr 1346. entſtund in Aſien, in dem heutigen Kaiſerthum China, auf
einmal eine auſſerordenliche Dürre, die Einwohner wußten ſich faſt vor Waſſer-
mangel nicht mehr zu helfen, als plötzlich ein ungewöhnlicher Regen mit einem
ſtarken Winde entſtund. Jezt freute ſich das ganze Land, denn alle Einwohner
dachten, die Noth ſey vorüber; aber ſie hatten ſehr geirret: denn ſo bald ſie auf
die Straſen kamen, ſo wurden ſie eine große Menge kleiner Schlangen u. eine Art
ihnen ganz unbekannter Würmer gewahr. Die Dürre ſtellte ſich aufs neue ein, und
ſo entſtund, als die Menge von Slangen und Würmern ferfaulte, ein ungewöhn-
licher Geſtank, und die Folgen davon waren die Peſt, die viel Tauſend Menſchen
hinweg rafte. Eben ſo leſen wir in der Ungariſchen Geſchichte, daß im Jahr 1672
als das Kriegsfeuer in den Niederlanden in vollen Flammen ſtund, ein ſolcher
Wurmschnee ganz Ungarn und Deutſchland in die größte Verwunderung geſetzt hat.
Es fing nämlich am 20. Nov. des erwähnten Jahres ſehr ſtark in der Gegend und
bey der Stadt Neuſohl an zu ſchneien, und da ſich das Wetter wieder verzogen hatte:
ſo ſahe man neben dem Silberthor auf einer großen Aue auf zehnerlei Arten ganz
ungewöhnlicher Würmer auf den Schnee kriechen. Die Kälte war eben damals
ſo ſehr ſtark, und doch krochen dieſe Würmer ganzer vier Tage auf den Schnee
herum, ohne daß man hätte ſehen können, daß ihnen die Kälte etwas geſchadet
hätte.

Auch damals gabs Leute, die die Natur beobachteten; ſie ſammelten dahero
von jeder Art welche ein, zeichneten dieſelben mit aller Sorgfalt ab und hinterlie-
ßen ihren Nachkommen die Zeichnung und Geſchichte dieſer Würmer zum Anden-
ken. Die meiſten von dieſen Würmern waren ſchwarz, hatte 6, 8 bis 10 Füſſe,
gelbe Bäuche und Einſchnitte gleich den Raupen; doch waren auch röthliche da-
runter. Einige hatte Füſſe wie die Spinnen, aber beynahe die Geſtalt der Krö-
ten. Unter dieſen Würmern herrſchte ein Art von Krieg, die ſchwarzen die doch
weit kleiner waren als die röthlichen, ſpielten den Meiſter über die röthlichen, ſie
fielen dieſelben mit Wuth an, überwältigten ſie und fraſſen ſie fast auf. Das Merk-
würdigſte bey dieſen Würmern war, daß keiner in die Stadt Neuſohl gefallen, da

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[0002] Bewegung zu ſeyn, und ſie ſtellt uns Bilder dar, die der Betrachtung der größ- ten Gelehrten würdig ſind. Freilig liefert die Geſchichte ähnliche Vorfälle, und das, was wir mit Verwunderung geſehen haben, hat ſich ebenfalls ſchon zugetragen, und wir wollen nur einen kleinen Auszug aus der Geſchichte herſetzen; ſo werden die reſpect. Leſer leicht ſelber einſehen, daß nichts geſchieht, was dereinſt nicht ſchon geſchehen wäre. Jm Jahr 1346. entſtund in Aſien, in dem heutigen Kaiſerthum China, auf einmal eine auſſerordenliche Dürre, die Einwohner wußten ſich faſt vor Waſſer- mangel nicht mehr zu helfen, als plötzlich ein ungewöhnlicher Regen mit einem ſtarken Winde entſtund. Jezt freute ſich das ganze Land, denn alle Einwohner dachten, die Noth ſey vorüber; aber ſie hatten ſehr geirret: denn ſo bald ſie auf die Straſen kamen, ſo wurden ſie eine große Menge kleiner Schlangen u. eine Art ihnen ganz unbekannter Würmer gewahr. Die Dürre ſtellte ſich aufs neue ein, und ſo entſtund, als die Menge von Slangen und Würmern ferfaulte, ein ungewöhn- licher Geſtank, und die Folgen davon waren die Peſt, die viel Tauſend Menſchen hinweg rafte. Eben ſo leſen wir in der Ungariſchen Geſchichte, daß im Jahr 1672 als das Kriegsfeuer in den Niederlanden in vollen Flammen ſtund, ein ſolcher Wurmschnee ganz Ungarn und Deutſchland in die größte Verwunderung geſetzt hat. Es fing nämlich am 20. Nov. des erwähnten Jahres ſehr ſtark in der Gegend und bey der Stadt Neuſohl an zu ſchneien, und da ſich das Wetter wieder verzogen hatte: ſo ſahe man neben dem Silberthor auf einer großen Aue auf zehnerlei Arten ganz ungewöhnlicher Würmer auf den Schnee kriechen. Die Kälte war eben damals ſo ſehr ſtark, und doch krochen dieſe Würmer ganzer vier Tage auf den Schnee herum, ohne daß man hätte ſehen können, daß ihnen die Kälte etwas geſchadet hätte. Auch damals gabs Leute, die die Natur beobachteten; ſie ſammelten dahero von jeder Art welche ein, zeichneten dieſelben mit aller Sorgfalt ab und hinterlie- ßen ihren Nachkommen die Zeichnung und Geſchichte dieſer Würmer zum Anden- ken. Die meiſten von dieſen Würmern waren ſchwarz, hatte 6, 8 bis 10 Füſſe, gelbe Bäuche und Einſchnitte gleich den Raupen; doch waren auch röthliche da- runter. Einige hatte Füſſe wie die Spinnen, aber beynahe die Geſtalt der Krö- ten. Unter dieſen Würmern herrſchte ein Art von Krieg, die ſchwarzen die doch weit kleiner waren als die röthlichen, ſpielten den Meiſter über die röthlichen, ſie fielen dieſelben mit Wuth an, überwältigten ſie und fraſſen ſie fast auf. Das Merk- würdigſte bey dieſen Würmern war, daß keiner in die Stadt Neuſohl gefallen, da es

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Zitationshilfe: Das Raupenschneien. [s. l.], 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_raupen_1799/2>, abgerufen am 29.04.2024.