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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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bewegen und nach seinem Gefallen lenken kann, es ist
ein gesunder, muskelkräftiger Körper. Dadurch ist
alle Energie des Willens bedingt: denn ob ein star-
ker Wille auch sonst noch denkbar sei, ohne dieses Mit-
tel ihn auszuführen, läßt sich wenigstens nicht ent-
scheiden, da wir die Fähigkeiten des Geistes nie an sich,
sondern nur nach den Wirkungen ermessen können, die sie
in der Außenwelt hervorbringen. Und was helfen am
Ende alle Tugenden der Gesinnung, was hilft Weis-
heit
und Liebe dem, der die Fertigkeit nie er-
warb, sie auszuüben, dem die Besonnenheit gebricht,
der Weisheit durch das Gewirre des Lebens zu folgen,
dem die Beharrlichkeit auf dem Wege erlahmt,
auf dem Wohlwollen sich allein bethätigen kann.

Dem Morgenlande ist dieser Begriff, vielleicht
nur durch die Schuld der tellurischen Verhältnisse, nie-
mals zum Bewußtsein gekommen. Verwöhnt von der
allzufreigebigen Erde, von einem zu milden Himmel
umarmt, schmilzt in erschlaffender Hitze die ungeübte
Kraft und die durch den leisesten Reiz erregte Begier
der lüsternen Sinne erträgt ihre Uebung nicht einmal.
Mit welchem prüden Abscheu sahen die Juden die un-
ter Antiochus IV. versuchte Einführung der Gymna-
stik, und den damit verbundenen, die Sinnlichkeit
steigernden, Epispasmus (1. Macc. 1., 15. 16.)

Bei den Griechen zeigten sich diese Uebel nicht
mehr. Das gemäßigte Klima fördert zugleich und
stählt die Kraft; das gespanntere Bewußtsein wird
objectiver und bricht die Gewalt der Sinnlichkeit; die
in subjectiven Gefühlszuständen träumend gewiegte Re-
ligiösität des Orients läutert sich hier zu der com-
pacteren, mehr dem Leben und der Wirklichkeit ange-
hörigen Sittlichkeit. Schon ihre arete ist, wenn man
auf die Stämme aro, aresko sieht, die gedrungene,
fest gegründete Kraft, die das Nützliche, Taugliche, Pas-
sende zu schaffen weiß, und uuter ihren vier Kardinal-
tugenden ist die andria (die Mannheit, Mannhaftig-
keit) die wir gewöhnlich Tapferkeit übersetzen, eben diese

bewegen und nach ſeinem Gefallen lenken kann, es iſt
ein geſunder, muskelkräftiger Körper. Dadurch iſt
alle Energie des Willens bedingt: denn ob ein ſtar-
ker Wille auch ſonſt noch denkbar ſei, ohne dieſes Mit-
tel ihn auszuführen, läßt ſich wenigſtens nicht ent-
ſcheiden, da wir die Fähigkeiten des Geiſtes nie an ſich,
ſondern nur nach den Wirkungen ermeſſen können, die ſie
in der Außenwelt hervorbringen. Und was helfen am
Ende alle Tugenden der Geſinnung, was hilft Weis-
heit
und Liebe dem, der die Fertigkeit nie er-
warb, ſie auszuüben, dem die Beſonnenheit gebricht,
der Weisheit durch das Gewirre des Lebens zu folgen,
dem die Beharrlichkeit auf dem Wege erlahmt,
auf dem Wohlwollen ſich allein bethätigen kann.

Dem Morgenlande iſt dieſer Begriff, vielleicht
nur durch die Schuld der telluriſchen Verhältniſſe, nie-
mals zum Bewußtſein gekommen. Verwöhnt von der
allzufreigebigen Erde, von einem zu milden Himmel
umarmt, ſchmilzt in erſchlaffender Hitze die ungeübte
Kraft und die durch den leiſeſten Reiz erregte Begier
der lüſternen Sinne erträgt ihre Uebung nicht einmal.
Mit welchem prüden Abſcheu ſahen die Juden die un-
ter Antiochus IV. verſuchte Einführung der Gymna-
ſtik, und den damit verbundenen, die Sinnlichkeit
ſteigernden, Epispasmus (1. Macc. 1., 15. 16.)

Bei den Griechen zeigten ſich dieſe Uebel nicht
mehr. Das gemäßigte Klima fördert zugleich und
ſtählt die Kraft; das geſpanntere Bewußtſein wird
objectiver und bricht die Gewalt der Sinnlichkeit; die
in ſubjectiven Gefühlszuſtänden träumend gewiegte Re-
ligiöſität des Orients läutert ſich hier zu der com-
pacteren, mehr dem Leben und der Wirklichkeit ange-
hörigen Sittlichkeit. Schon ihre ἀρετή iſt, wenn man
auf die Stämme ἄρω, ἀρέσκω ſieht, die gedrungene,
feſt gegründete Kraft, die das Nützliche, Taugliche, Paſ-
ſende zu ſchaffen weiß, und uuter ihren vier Kardinal-
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[81/0085] bewegen und nach ſeinem Gefallen lenken kann, es iſt ein geſunder, muskelkräftiger Körper. Dadurch iſt alle Energie des Willens bedingt: denn ob ein ſtar- ker Wille auch ſonſt noch denkbar ſei, ohne dieſes Mit- tel ihn auszuführen, läßt ſich wenigſtens nicht ent- ſcheiden, da wir die Fähigkeiten des Geiſtes nie an ſich, ſondern nur nach den Wirkungen ermeſſen können, die ſie in der Außenwelt hervorbringen. Und was helfen am Ende alle Tugenden der Geſinnung, was hilft Weis- heit und Liebe dem, der die Fertigkeit nie er- warb, ſie auszuüben, dem die Beſonnenheit gebricht, der Weisheit durch das Gewirre des Lebens zu folgen, dem die Beharrlichkeit auf dem Wege erlahmt, auf dem Wohlwollen ſich allein bethätigen kann. Dem Morgenlande iſt dieſer Begriff, vielleicht nur durch die Schuld der telluriſchen Verhältniſſe, nie- mals zum Bewußtſein gekommen. Verwöhnt von der allzufreigebigen Erde, von einem zu milden Himmel umarmt, ſchmilzt in erſchlaffender Hitze die ungeübte Kraft und die durch den leiſeſten Reiz erregte Begier der lüſternen Sinne erträgt ihre Uebung nicht einmal. Mit welchem prüden Abſcheu ſahen die Juden die un- ter Antiochus IV. verſuchte Einführung der Gymna- ſtik, und den damit verbundenen, die Sinnlichkeit ſteigernden, Epispasmus (1. Macc. 1., 15. 16.) Bei den Griechen zeigten ſich dieſe Uebel nicht mehr. Das gemäßigte Klima fördert zugleich und ſtählt die Kraft; das geſpanntere Bewußtſein wird objectiver und bricht die Gewalt der Sinnlichkeit; die in ſubjectiven Gefühlszuſtänden träumend gewiegte Re- ligiöſität des Orients läutert ſich hier zu der com- pacteren, mehr dem Leben und der Wirklichkeit ange- hörigen Sittlichkeit. Schon ihre ἀρετή iſt, wenn man auf die Stämme ἄρω, ἀρέσκω ſieht, die gedrungene, feſt gegründete Kraft, die das Nützliche, Taugliche, Paſ- ſende zu ſchaffen weiß, und uuter ihren vier Kardinal- tugenden iſt die ἀνδρία (die Mannheit, Mannhaftig- keit) die wir gewöhnlich Tapferkeit überſetzen, eben dieſe

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/85>, abgerufen am 27.04.2024.