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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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schaulichen Orientalismus zurück. Aber nur der Kle-
rus verfällt diesem lebensmüden, feindlichen Sinn, der
kräftige Natursinn des germanischen Wildlings, dem
diese Anschauung aufgepfropft ist, läßt sich mit allen
Predigten von der heilbringenden Kreuzigung und Er-
tödtung des Fleisches weder zu den falschen ascetischen
Kasteiungen überreden, noch von der heldenhaften Ue-
bung der Waffen abbringen. Aus der Reihe der
Kardinaltugenden ist im Christenthume die Mannheit
wieder verschwunden. Nur die Tugenden der Gesin-
nung sind geblieben, und sind hier allerdings geläu-
tert: was die Weisheit bei den Griechen, ist 1. Cor.
13., 13. der Glaube, was bei jenen die Gerechtigkeit
war, ist hier die Liebe; aber für die beiden Fertigkeits-
tugenden, Mäßigung und Tapferkeit, muß hier als
schwacher Ersatz einstehen, was der beinahe Verzwei-
felnde sonst nur nach langer vergeblicher Anstrengung
als letzten Stab für seine ermattende Kraft ergreift, --
die Hoffnung. Als wenn selbst jeder Versuch, das
Göttliche, das Sittliche schon hier auf Erden mit Rü-
stigkeit zu vollbringen, von vorn herein als ein ver-
gebliches Bemühen aufzugeben wäre!

Doch nein! Auch in der christlichen Welt wird
dieses Streben nicht erschlaffen. Als die Deutschen
die zweite Erbschaft des Alterthums antraten, und
der Griechen Wissenschaft und Kunst am Anfang
der neuern Geschichte in Besitz nahmen, begann sich
dieser im Katholicismus verkörperte weltfeindliche Sinn
schon wieder der Erde und der sittlichen Thatkraft zu-
zuwenden. Nach allem, was er seit jenen drei Jahr-
hunderten den Griechen abgelernt, ist die Zeit heran-
gerückt, wo er auch den Werth ihrer andria und der
von ihr geforderten Gymnastik anerkennen wird. Man
hat vor kurzem mit oft wunderlichen Uebertreibungen
von einer Rehabilitation des Fleisches gespro-
chen: wenn dieser Ausdruck etwas bedeuten soll, so
ist es eben dies. Es muß die Zeit für uns kommen,
und wenn uns nicht alle Zeichen trügen, so ist sie nahe,

ſchaulichen Orientalismus zurück. Aber nur der Kle-
rus verfällt dieſem lebensmüden, feindlichen Sinn, der
kräftige Naturſinn des germaniſchen Wildlings, dem
dieſe Anſchauung aufgepfropft iſt, läßt ſich mit allen
Predigten von der heilbringenden Kreuzigung und Er-
tödtung des Fleiſches weder zu den falſchen ascetiſchen
Kaſteiungen überreden, noch von der heldenhaften Ue-
bung der Waffen abbringen. Aus der Reihe der
Kardinaltugenden iſt im Chriſtenthume die Mannheit
wieder verſchwunden. Nur die Tugenden der Geſin-
nung ſind geblieben, und ſind hier allerdings geläu-
tert: was die Weisheit bei den Griechen, iſt 1. Cor.
13., 13. der Glaube, was bei jenen die Gerechtigkeit
war, iſt hier die Liebe; aber für die beiden Fertigkeits-
tugenden, Mäßigung und Tapferkeit, muß hier als
ſchwacher Erſatz einſtehen, was der beinahe Verzwei-
felnde ſonſt nur nach langer vergeblicher Anſtrengung
als letzten Stab für ſeine ermattende Kraft ergreift, —
die Hoffnung. Als wenn ſelbſt jeder Verſuch, das
Göttliche, das Sittliche ſchon hier auf Erden mit Rü-
ſtigkeit zu vollbringen, von vorn herein als ein ver-
gebliches Bemühen aufzugeben wäre!

Doch nein! Auch in der chriſtlichen Welt wird
dieſes Streben nicht erſchlaffen. Als die Deutſchen
die zweite Erbſchaft des Alterthums antraten, und
der Griechen Wiſſenſchaft und Kunſt am Anfang
der neuern Geſchichte in Beſitz nahmen, begann ſich
dieſer im Katholicismus verkörperte weltfeindliche Sinn
ſchon wieder der Erde und der ſittlichen Thatkraft zu-
zuwenden. Nach allem, was er ſeit jenen drei Jahr-
hunderten den Griechen abgelernt, iſt die Zeit heran-
gerückt, wo er auch den Werth ihrer ἀνδρία und der
von ihr geforderten Gymnaſtik anerkennen wird. Man
hat vor kurzem mit oft wunderlichen Uebertreibungen
von einer Rehabilitation des Fleiſches geſpro-
chen: wenn dieſer Ausdruck etwas bedeuten ſoll, ſo
iſt es eben dies. Es muß die Zeit für uns kommen,
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[83/0087] ſchaulichen Orientalismus zurück. Aber nur der Kle- rus verfällt dieſem lebensmüden, feindlichen Sinn, der kräftige Naturſinn des germaniſchen Wildlings, dem dieſe Anſchauung aufgepfropft iſt, läßt ſich mit allen Predigten von der heilbringenden Kreuzigung und Er- tödtung des Fleiſches weder zu den falſchen ascetiſchen Kaſteiungen überreden, noch von der heldenhaften Ue- bung der Waffen abbringen. Aus der Reihe der Kardinaltugenden iſt im Chriſtenthume die Mannheit wieder verſchwunden. Nur die Tugenden der Geſin- nung ſind geblieben, und ſind hier allerdings geläu- tert: was die Weisheit bei den Griechen, iſt 1. Cor. 13., 13. der Glaube, was bei jenen die Gerechtigkeit war, iſt hier die Liebe; aber für die beiden Fertigkeits- tugenden, Mäßigung und Tapferkeit, muß hier als ſchwacher Erſatz einſtehen, was der beinahe Verzwei- felnde ſonſt nur nach langer vergeblicher Anſtrengung als letzten Stab für ſeine ermattende Kraft ergreift, — die Hoffnung. Als wenn ſelbſt jeder Verſuch, das Göttliche, das Sittliche ſchon hier auf Erden mit Rü- ſtigkeit zu vollbringen, von vorn herein als ein ver- gebliches Bemühen aufzugeben wäre! Doch nein! Auch in der chriſtlichen Welt wird dieſes Streben nicht erſchlaffen. Als die Deutſchen die zweite Erbſchaft des Alterthums antraten, und der Griechen Wiſſenſchaft und Kunſt am Anfang der neuern Geſchichte in Beſitz nahmen, begann ſich dieſer im Katholicismus verkörperte weltfeindliche Sinn ſchon wieder der Erde und der ſittlichen Thatkraft zu- zuwenden. Nach allem, was er ſeit jenen drei Jahr- hunderten den Griechen abgelernt, iſt die Zeit heran- gerückt, wo er auch den Werth ihrer ἀνδρία und der von ihr geforderten Gymnaſtik anerkennen wird. Man hat vor kurzem mit oft wunderlichen Uebertreibungen von einer Rehabilitation des Fleiſches geſpro- chen: wenn dieſer Ausdruck etwas bedeuten ſoll, ſo iſt es eben dies. Es muß die Zeit für uns kommen, und wenn uns nicht alle Zeichen trügen, ſo iſt ſie nahe,

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/87>, abgerufen am 27.04.2024.