Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

er dotirte noch einmal nach -- Und als er wieder
ihn erwartete und sein funfzigjähriges Alter ohne
Aussicht erfuhr und als ihn die Beklemmung über¬
wältigte, die ihm allzeit alte aber unentwickelte
Menschen machten, graue Gesellen, alte Schreiber,
alte Provisores, alte Famuli: so war er ja entschul¬
digt, daß er wieder zurücklief und dem erstaunten
Alten stumm die neuen Zeichen seiner überfließenden
beglückenden Seele gab -- -- Und als er in der
neuen Entfernung sein in Liebe zergangnes, gleichsam
nur um seine Seele schwimmendes Herz immer mehr
nach Wohlthun dürsten, und als er einen unbegreif¬
lichen Hang zu neuem Geben und das Sehnen fühl¬
te, irgend einem Menschen heute alles, alles hinzu¬
legen: so merkt' er, daß er jetzt zu weich sey und
zu seelig und zu trunken und zu schwach.

Sobald man im Dorfe die gewissen Nachrichten
von diesem Transitozoll der Wohlthätigkeit in Hän¬
den hatte: so legten sich Nachmittags ungefähr
15 Kinder in verschiednen Distanzen an den Weg,
besetzten die engen Pässe und stellten Schildwachen
und enfans perdus aus, um Zoll-Defraudationen
abzukehren. . . .

Ein Mensch, der aus drei geraden Stunden sie¬
ben krumme konstruirte wie Viktor, hat oft Hunger
aber sicher größern als er; -- er nahm blos das
Leibnizische Monaden-Diner aus der Tasche, Zwie¬

er dotirte noch einmal nach — Und als er wieder
ihn erwartete und ſein funfzigjaͤhriges Alter ohne
Ausſicht erfuhr und als ihn die Beklemmung uͤber¬
waͤltigte, die ihm allzeit alte aber unentwickelte
Menſchen machten, graue Geſellen, alte Schreiber,
alte Proviſores, alte Famuli: ſo war er ja entſchul¬
digt, daß er wieder zuruͤcklief und dem erſtaunten
Alten ſtumm die neuen Zeichen ſeiner uͤberfließenden
begluͤckenden Seele gab — — Und als er in der
neuen Entfernung ſein in Liebe zergangnes, gleichſam
nur um ſeine Seele ſchwimmendes Herz immer mehr
nach Wohlthun duͤrſten, und als er einen unbegreif¬
lichen Hang zu neuem Geben und das Sehnen fuͤhl¬
te, irgend einem Menſchen heute alles, alles hinzu¬
legen: ſo merkt' er, daß er jetzt zu weich ſey und
zu ſeelig und zu trunken und zu ſchwach.

Sobald man im Dorfe die gewiſſen Nachrichten
von dieſem Tranſitozoll der Wohlthaͤtigkeit in Haͤn¬
den hatte: ſo legten ſich Nachmittags ungefaͤhr
15 Kinder in verſchiednen Diſtanzen an den Weg,
beſetzten die engen Paͤſſe und ſtellten Schildwachen
und enfans perdus aus, um Zoll-Defraudationen
abzukehren. . . .

Ein Menſch, der aus drei geraden Stunden ſie¬
ben krumme konſtruirte wie Viktor, hat oft Hunger
aber ſicher groͤßern als er; — er nahm blos das
Leibniziſche Monaden-Diner aus der Taſche, Zwie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="222"/>
er dotirte noch einmal nach &#x2014; Und als er wieder<lb/>
ihn erwartete und &#x017F;ein funfzigja&#x0364;hriges Alter ohne<lb/>
Aus&#x017F;icht erfuhr und als ihn die Beklemmung u&#x0364;ber¬<lb/>
wa&#x0364;ltigte, die ihm allzeit <hi rendition="#g">alte</hi> aber <hi rendition="#g">unentwickelte</hi><lb/>
Men&#x017F;chen machten, graue Ge&#x017F;ellen, alte Schreiber,<lb/>
alte Provi&#x017F;ores, alte Famuli: &#x017F;o war er ja ent&#x017F;chul¬<lb/>
digt, daß er wieder zuru&#x0364;cklief und dem er&#x017F;taunten<lb/>
Alten &#x017F;tumm die neuen Zeichen &#x017F;einer u&#x0364;berfließenden<lb/>
beglu&#x0364;ckenden Seele gab &#x2014; &#x2014; Und als er in der<lb/>
neuen Entfernung &#x017F;ein in Liebe zergangnes, gleich&#x017F;am<lb/>
nur um &#x017F;eine Seele &#x017F;chwimmendes Herz immer mehr<lb/>
nach Wohlthun du&#x0364;r&#x017F;ten, und als er einen unbegreif¬<lb/>
lichen Hang zu neuem Geben und das Sehnen fu&#x0364;hl¬<lb/>
te, irgend einem Men&#x017F;chen heute alles, alles hinzu¬<lb/>
legen: &#x017F;o merkt' er, daß er jetzt zu weich &#x017F;ey und<lb/>
zu &#x017F;eelig und zu trunken und zu &#x017F;chwach.</p><lb/>
        <p>Sobald man im Dorfe die gewi&#x017F;&#x017F;en Nachrichten<lb/>
von die&#x017F;em Tran&#x017F;itozoll der Wohltha&#x0364;tigkeit in Ha&#x0364;<lb/>
den hatte: &#x017F;o legten &#x017F;ich Nachmittags ungefa&#x0364;hr<lb/>
15 Kinder in ver&#x017F;chiednen Di&#x017F;tanzen an den Weg,<lb/>
be&#x017F;etzten die engen Pa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und &#x017F;tellten Schildwachen<lb/>
und <hi rendition="#aq">enfans perdus</hi> aus, um Zoll-Defraudationen<lb/>
abzukehren. . . .</p><lb/>
        <p>Ein Men&#x017F;ch, der aus drei geraden Stunden &#x017F;ie¬<lb/>
ben krumme kon&#x017F;truirte wie Viktor, hat oft Hunger<lb/>
aber &#x017F;icher gro&#x0364;ßern als er; &#x2014; er nahm blos das<lb/>
Leibnizi&#x017F;che Monaden-Diner aus der Ta&#x017F;che, Zwie¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0233] er dotirte noch einmal nach — Und als er wieder ihn erwartete und ſein funfzigjaͤhriges Alter ohne Ausſicht erfuhr und als ihn die Beklemmung uͤber¬ waͤltigte, die ihm allzeit alte aber unentwickelte Menſchen machten, graue Geſellen, alte Schreiber, alte Proviſores, alte Famuli: ſo war er ja entſchul¬ digt, daß er wieder zuruͤcklief und dem erſtaunten Alten ſtumm die neuen Zeichen ſeiner uͤberfließenden begluͤckenden Seele gab — — Und als er in der neuen Entfernung ſein in Liebe zergangnes, gleichſam nur um ſeine Seele ſchwimmendes Herz immer mehr nach Wohlthun duͤrſten, und als er einen unbegreif¬ lichen Hang zu neuem Geben und das Sehnen fuͤhl¬ te, irgend einem Menſchen heute alles, alles hinzu¬ legen: ſo merkt' er, daß er jetzt zu weich ſey und zu ſeelig und zu trunken und zu ſchwach. Sobald man im Dorfe die gewiſſen Nachrichten von dieſem Tranſitozoll der Wohlthaͤtigkeit in Haͤn¬ den hatte: ſo legten ſich Nachmittags ungefaͤhr 15 Kinder in verſchiednen Diſtanzen an den Weg, beſetzten die engen Paͤſſe und ſtellten Schildwachen und enfans perdus aus, um Zoll-Defraudationen abzukehren. . . . Ein Menſch, der aus drei geraden Stunden ſie¬ ben krumme konſtruirte wie Viktor, hat oft Hunger aber ſicher groͤßern als er; — er nahm blos das Leibniziſche Monaden-Diner aus der Taſche, Zwie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/233
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/233>, abgerufen am 13.05.2024.