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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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"nicht blos Thorheiten sondern auch Schmerzen um¬
"zingeln, daß da der Mensch ein nasses Auge be¬
wahren müsse für rothe, ein beklommenes Herz für
ein blutendes und eine leise Hand, die den schweren
dicken Leidenskelch dem Armen, der ihn leeren muß,
trauernd hält und langsam nachhebt? -- Und wenn
du so bist: so rede und lache wie du willst: denn die
"Menschen soll keiner belachen als einer, der sie
"recht herzlich liebt."

Nachmittags schikte der Obristkammerherr Le
Baut -- ein aromatisches Blätterskelet -- den Läu¬
fer Seebaß zum Kaplan und lies ihn ersuchen --
denn das Schlos lag der Kaplanei nahe gegenüber --
den Bok nur so lange wegzustellen, bis sich der
Wind drehte, weil seine Tochter käme. "Trauter
"H. Seebaß, (antwortete gerührt der Ratten-Kon¬
"troversist) meinen unterthänigen Empfehl wieder
"und Sie sehen mein Elend. Morgen erfreuen mich
"der Lord und sein Sohn und sein Okulist mit ihrer
"Gegenwart und der Staar wird hier gestochen.
"Nun stinkt gegenwärtig das ganze Haus und die
"Ratzen setzen ihren Nachttanz noch gelassen im Ge¬
"ruche fort: ich betheure Ihnen, H. Seebaß, wir
"können Teufelsdrek nehmen und damit die Kaplanei
"bis zum Dachstuhl ausfüttern, nicht einen Schwanz
"treiben wir dadurch fort; es gefällt ihnen vielmehr.
"Ich meines Ortes sehe, daß sie morgen unter

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»nicht blos Thorheiten ſondern auch Schmerzen um¬
»zingeln, daß da der Menſch ein naſſes Auge be¬
wahren muͤſſe fuͤr rothe, ein beklommenes Herz fuͤr
ein blutendes und eine leiſe Hand, die den ſchweren
dicken Leidenskelch dem Armen, der ihn leeren muß,
trauernd haͤlt und langſam nachhebt? — Und wenn
du ſo biſt: ſo rede und lache wie du willſt: denn die
»Menſchen ſoll keiner belachen als einer, der ſie
»recht herzlich liebt.«

Nachmittags ſchikte der Obriſtkammerherr Le
Baut — ein aromatiſches Blaͤtterſkelet — den Laͤu¬
fer Seebaß zum Kaplan und lies ihn erſuchen —
denn das Schlos lag der Kaplanei nahe gegenuͤber —
den Bok nur ſo lange wegzuſtellen, bis ſich der
Wind drehte, weil ſeine Tochter kaͤme. »Trauter
»H. Seebaß, (antwortete geruͤhrt der Ratten-Kon¬
»troverſiſt) meinen unterthaͤnigen Empfehl wieder
»und Sie ſehen mein Elend. Morgen erfreuen mich
»der Lord und ſein Sohn und ſein Okuliſt mit ihrer
»Gegenwart und der Staar wird hier geſtochen.
»Nun ſtinkt gegenwaͤrtig das ganze Haus und die
»Ratzen ſetzen ihren Nachttanz noch gelaſſen im Ge¬
»ruche fort: ich betheure Ihnen, H. Seebaß, wir
»koͤnnen Teufelsdrek nehmen und damit die Kaplanei
»bis zum Dachſtuhl ausfuͤttern, nicht einen Schwanz
»treiben wir dadurch fort; es gefaͤllt ihnen vielmehr.
»Ich meines Ortes ſehe, daß ſie morgen unter

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[19/0030] »nicht blos Thorheiten ſondern auch Schmerzen um¬ »zingeln, daß da der Menſch ein naſſes Auge be¬ wahren muͤſſe fuͤr rothe, ein beklommenes Herz fuͤr ein blutendes und eine leiſe Hand, die den ſchweren dicken Leidenskelch dem Armen, der ihn leeren muß, trauernd haͤlt und langſam nachhebt? — Und wenn du ſo biſt: ſo rede und lache wie du willſt: denn die »Menſchen ſoll keiner belachen als einer, der ſie »recht herzlich liebt.« Nachmittags ſchikte der Obriſtkammerherr Le Baut — ein aromatiſches Blaͤtterſkelet — den Laͤu¬ fer Seebaß zum Kaplan und lies ihn erſuchen — denn das Schlos lag der Kaplanei nahe gegenuͤber — den Bok nur ſo lange wegzuſtellen, bis ſich der Wind drehte, weil ſeine Tochter kaͤme. »Trauter »H. Seebaß, (antwortete geruͤhrt der Ratten-Kon¬ »troverſiſt) meinen unterthaͤnigen Empfehl wieder »und Sie ſehen mein Elend. Morgen erfreuen mich »der Lord und ſein Sohn und ſein Okuliſt mit ihrer »Gegenwart und der Staar wird hier geſtochen. »Nun ſtinkt gegenwaͤrtig das ganze Haus und die »Ratzen ſetzen ihren Nachttanz noch gelaſſen im Ge¬ »ruche fort: ich betheure Ihnen, H. Seebaß, wir »koͤnnen Teufelsdrek nehmen und damit die Kaplanei »bis zum Dachſtuhl ausfuͤttern, nicht einen Schwanz »treiben wir dadurch fort; es gefaͤllt ihnen vielmehr. »Ich meines Ortes ſehe, daß ſie morgen unter B 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/30>, abgerufen am 28.04.2024.