"Gut, dieß entschuldigt Ihre erste Hitze gewiß; aber erwägen Sie auch, daß überall von jeher der Gelehrte, besonders der Kunst- richter gegen den Gelehrten zum Vortheile der Wissenschaft auf dem Papier eine freie Sprache führt, die er sich nie im Zimmer unter vier Augen....
"Zum Wissenschafts-Vortheil? -- Ist es nicht jammerschade, daß Leute wie Du auch nur das Geringste davon verstehen? Können solche Leute unwissend genug seyn? Die Wis- senschaft ist etwas so Großes als die Reli- gion -- für jene sollte man eben so gut Muth und Blut daran setzen als für diese, -- und doch wagen die Rezensenten nicht einmal ihre Namens-Unterschrift daran. Eine Sünde pflanzt sich nicht fort, und jeder Sünder er- kennt sie an; ein unterstüzter Irrthum kann ein Jahrhundert verfinstern. Wer sich der Wissenschaft weiht, besonders als Lehrer der Leser, muß ihr entweder sich und alles, und jede Laune, sogar seinen Nachruhm opfern:"
"Wie schön gesagt und gedacht!" lispelte
„Gut, dieß entſchuldigt Ihre erſte Hitze gewiß; aber erwaͤgen Sie auch, daß uͤberall von jeher der Gelehrte, beſonders der Kunſt- richter gegen den Gelehrten zum Vortheile der Wiſſenſchaft auf dem Papier eine freie Sprache fuͤhrt, die er ſich nie im Zimmer unter vier Augen....
„Zum Wiſſenſchafts-Vortheil? — Iſt es nicht jammerſchade, daß Leute wie Du auch nur das Geringſte davon verſtehen? Koͤnnen ſolche Leute unwiſſend genug ſeyn? Die Wiſ- ſenſchaft iſt etwas ſo Großes als die Reli- gion — fuͤr jene ſollte man eben ſo gut Muth und Blut daran ſetzen als fuͤr dieſe, — und doch wagen die Rezenſenten nicht einmal ihre Namens-Unterſchrift daran. Eine Suͤnde pflanzt ſich nicht fort, und jeder Suͤnder er- kennt ſie an; ein unterſtuͤzter Irrthum kann ein Jahrhundert verfinſtern. Wer ſich der Wiſſenſchaft weiht, beſonders als Lehrer der Leſer, muß ihr entweder ſich und alles, und jede Laune, ſogar ſeinen Nachruhm opfern:”
„Wie ſchön geſagt und gedacht!“ liſpelte
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„Gut, dieß entſchuldigt Ihre erſte Hitze
gewiß; aber erwaͤgen Sie auch, daß uͤberall
von jeher der Gelehrte, beſonders der Kunſt-
richter gegen den Gelehrten zum Vortheile der
Wiſſenſchaft auf dem Papier eine freie Sprache
fuͤhrt, die er ſich nie im Zimmer unter vier
Augen....
„Zum Wiſſenſchafts-Vortheil? — Iſt es
nicht jammerſchade, daß Leute wie Du auch
nur das Geringſte davon verſtehen? Koͤnnen
ſolche Leute unwiſſend genug ſeyn? Die Wiſ-
ſenſchaft iſt etwas ſo Großes als die Reli-
gion — fuͤr jene ſollte man eben ſo gut Muth
und Blut daran ſetzen als fuͤr dieſe, — und
doch wagen die Rezenſenten nicht einmal ihre
Namens-Unterſchrift daran. Eine Suͤnde
pflanzt ſich nicht fort, und jeder Suͤnder er-
kennt ſie an; ein unterſtuͤzter Irrthum kann
ein Jahrhundert verfinſtern. Wer ſich der
Wiſſenſchaft weiht, beſonders als Lehrer der
Leſer, muß ihr entweder ſich und alles, und
jede Laune, ſogar ſeinen Nachruhm opfern:”
„Wie ſchön geſagt und gedacht!“ liſpelte
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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/128>, abgerufen am 29.04.2024.
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