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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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wohl wie denen die er betrauert -- er thut sanft
und fest sein Auge auf, wenn ihm das Schicksal
holde Gestalten zuschickt, und wenn sie wieder ge¬
hen und gräßliche heranfahren, so schließt ers ru¬
hig wieder zu." -- --

O Ottomar! das kannst du nicht, bevor dei¬
ne wogenden Kräfte am Alter sich gebrochen ha¬
ben! mach' immer dein Herz drei Tage lang für
die Ruhe weit; am vierten zieht es der Krampf
der Freude oder des Schmerzens zusammen und
drückt sie todt!

Manche Menschen können ohne Schauder keine
Wachsfiguren sehen: Gustav gehörte darunter;
er nahm Ottomars Hand, um sich ans Le¬
ben zu klammern gegen so viel Spiele und Nach¬
äffungen des Todes . . . Plötzlich lärmt etwas durch
das stille Schloß . . . die Treppen herauf ins Zim¬
mer hinein . . . an Ottomars Hals hinan . . . .
Fenk wars, der ihn nach der Auferstehung von
Todten zum erstenmale umfieng und dem jezt un¬
ter der engen Umarmung keine Entfernung von
dem, zwischen welchem und ihm sich Länder und
Jahre und Todt gelegt hatten, klein genug zu
seyn vermochte. Gustav; noch an der Hand Ot¬

wohl wie denen die er betrauert — er thut ſanft
und feſt ſein Auge auf, wenn ihm das Schickſal
holde Geſtalten zuſchickt, und wenn ſie wieder ge¬
hen und graͤßliche heranfahren, ſo ſchließt ers ru¬
hig wieder zu.“ — —

O Ottomar! das kannſt du nicht, bevor dei¬
ne wogenden Kraͤfte am Alter ſich gebrochen ha¬
ben! mach' immer dein Herz drei Tage lang fuͤr
die Ruhe weit; am vierten zieht es der Krampf
der Freude oder des Schmerzens zuſammen und
druͤckt ſie todt!

Manche Menſchen koͤnnen ohne Schauder keine
Wachsfiguren ſehen: Guſtav gehoͤrte darunter;
er nahm Ottomars Hand, um ſich ans Le¬
ben zu klammern gegen ſo viel Spiele und Nach¬
aͤffungen des Todes . . . Ploͤtzlich laͤrmt etwas durch
das ſtille Schloß . . . die Treppen herauf ins Zim¬
mer hinein . . . an Ottomars Hals hinan . . . .
Fenk wars, der ihn nach der Auferſtehung von
Todten zum erſtenmale umfieng und dem jezt un¬
ter der engen Umarmung keine Entfernung von
dem, zwiſchen welchem und ihm ſich Laͤnder und
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[170/0180] wohl wie denen die er betrauert — er thut ſanft und feſt ſein Auge auf, wenn ihm das Schickſal holde Geſtalten zuſchickt, und wenn ſie wieder ge¬ hen und graͤßliche heranfahren, ſo ſchließt ers ru¬ hig wieder zu.“ — — O Ottomar! das kannſt du nicht, bevor dei¬ ne wogenden Kraͤfte am Alter ſich gebrochen ha¬ ben! mach' immer dein Herz drei Tage lang fuͤr die Ruhe weit; am vierten zieht es der Krampf der Freude oder des Schmerzens zuſammen und druͤckt ſie todt! Manche Menſchen koͤnnen ohne Schauder keine Wachsfiguren ſehen: Guſtav gehoͤrte darunter; er nahm Ottomars Hand, um ſich ans Le¬ ben zu klammern gegen ſo viel Spiele und Nach¬ aͤffungen des Todes . . . Ploͤtzlich laͤrmt etwas durch das ſtille Schloß . . . die Treppen herauf ins Zim¬ mer hinein . . . an Ottomars Hals hinan . . . . Fenk wars, der ihn nach der Auferſtehung von Todten zum erſtenmale umfieng und dem jezt un¬ ter der engen Umarmung keine Entfernung von dem, zwiſchen welchem und ihm ſich Laͤnder und Jahre und Todt gelegt hatten, klein genug zu ſeyn vermochte. Guſtav; noch an der Hand Ot¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/180>, abgerufen am 28.04.2024.