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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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warum soll nicht Ein Tag -- zumal für Brunnen¬
gäste -- bloß dem zu weichen Herzen zugehören?
Wenn man euch Härte vergiebt: warum wollt ihr
keine Weichheit vergeben? -- O ihr beleidgt oh¬
nehin genug, ihr gefühllosen Seelen: die schönere
feinere ist euch bloß unbedeutend und lächerlich;
aber ihr seid ihr quälend und verwundet sie. --
Sonderbar ists, daß man andern zuweilen die Vor¬
züglichkeit der Talente, aber nie die Vorzüglichkeit
der Empfindungen zugesteht und daß man sei¬
ner eignen Vernunft, aber nicht seinem eignen
Geschmack Irthümer zutraut.

Ein durchsichtiges Dockengeländer von Wald¬
bäumen stand bloß noch zwischen uns und dem in¬
dischen Ozean, worin Teidor grünte -- als uns
der Steig durch das hohe Gras, das über ihn her¬
einschlug, an einer Einöde oder einem isolirten
Hause vorübertrug, das zu entzückend in diesem
Blumen-Ozean lag, als daß man hätte vorbeige¬
hen oder reiten können. Wir lagerten uns auf ei¬
ner abgemähten Rasenstelle, zur rechten Sei¬
te des Hauses, zur linken eines runden Gärtchens,
das sich mitten in die Wiese versteckte. Im armen
Gärtchen waren und nährten sich (wie in einem

warum ſoll nicht Ein Tag — zumal fuͤr Brunnen¬
gaͤſte — bloß dem zu weichen Herzen zugehoͤren?
Wenn man euch Haͤrte vergiebt: warum wollt ihr
keine Weichheit vergeben? — O ihr beleidgt oh¬
nehin genug, ihr gefuͤhlloſen Seelen: die ſchoͤnere
feinere iſt euch bloß unbedeutend und laͤcherlich;
aber ihr ſeid ihr quaͤlend und verwundet ſie. —
Sonderbar iſts, daß man andern zuweilen die Vor¬
zuͤglichkeit der Talente, aber nie die Vorzuͤglichkeit
der Empfindungen zugeſteht und daß man ſei¬
ner eignen Vernunft, aber nicht ſeinem eignen
Geſchmack Irthuͤmer zutraut.

Ein durchſichtiges Dockengelaͤnder von Wald¬
baͤumen ſtand bloß noch zwiſchen uns und dem in¬
diſchen Ozean, worin Teidor gruͤnte — als uns
der Steig durch das hohe Gras, das uͤber ihn her¬
einſchlug, an einer Einoͤde oder einem iſolirten
Hauſe voruͤbertrug, das zu entzuͤckend in dieſem
Blumen-Ozean lag, als daß man haͤtte vorbeige¬
hen oder reiten koͤnnen. Wir lagerten uns auf ei¬
ner abgemaͤhten Raſenſtelle, zur rechten Sei¬
te des Hauſes, zur linken eines runden Gaͤrtchens,
das ſich mitten in die Wieſe verſteckte. Im armen
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[327/0337] warum ſoll nicht Ein Tag — zumal fuͤr Brunnen¬ gaͤſte — bloß dem zu weichen Herzen zugehoͤren? Wenn man euch Haͤrte vergiebt: warum wollt ihr keine Weichheit vergeben? — O ihr beleidgt oh¬ nehin genug, ihr gefuͤhlloſen Seelen: die ſchoͤnere feinere iſt euch bloß unbedeutend und laͤcherlich; aber ihr ſeid ihr quaͤlend und verwundet ſie. — Sonderbar iſts, daß man andern zuweilen die Vor¬ zuͤglichkeit der Talente, aber nie die Vorzuͤglichkeit der Empfindungen zugeſteht und daß man ſei¬ ner eignen Vernunft, aber nicht ſeinem eignen Geſchmack Irthuͤmer zutraut. Ein durchſichtiges Dockengelaͤnder von Wald¬ baͤumen ſtand bloß noch zwiſchen uns und dem in¬ diſchen Ozean, worin Teidor gruͤnte — als uns der Steig durch das hohe Gras, das uͤber ihn her¬ einſchlug, an einer Einoͤde oder einem iſolirten Hauſe voruͤbertrug, das zu entzuͤckend in dieſem Blumen-Ozean lag, als daß man haͤtte vorbeige¬ hen oder reiten koͤnnen. Wir lagerten uns auf ei¬ ner abgemaͤhten Raſenſtelle, zur rechten Sei¬ te des Hauſes, zur linken eines runden Gaͤrtchens, das ſich mitten in die Wieſe verſteckte. Im armen Gaͤrtchen waren und naͤhrten ſich (wie in einem

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/337>, abgerufen am 04.05.2024.