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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Minister jede Minute kommen konnte, das
Verschweigen der heutigen Gartengesellschaft
aufzulegen. Nun warf sie den tiefsten Schlag¬
schatten auf ihre bisherige stumme Falschheit
gegen eine Mutter; denn sie verlegte die Säe-
und Blüthezeit dieser Liebe eigenmächtig schon
in die Tage vor der Reise aufs Land. Wie
erschrak die warme Seele über die Möglichkeit
einer solchen Lieblosigkeit! Sie führte so weit
sie nur konnte die Mutter den reinen, lichten
Perlenbach ihrer Geschichte und Liebe hinauf
und sagte Alles, was wir wissen, aber ohne
sehr zu befriedigen, weil sie gerade die Haupt¬
sache ausließ; denn aus Schonung gegen die
Mutter mußte sie die erscheinende Karoline,
die anfangs die Bilderstürmerin ihrer Liebe
und dann die begeisternde Muse und Braut¬
führerin derselben gewesen, mit dem Todten¬
schein der Zukunft in der Erzählung unsichtbar
bleiben lassen. --

Sie hielt mit inbrünstigem Druck die müt¬
terliche Hand unter immer frohern Versicherun¬
gen, wie sie ihr hab' immer Alles sagen wollen;
sie dachte hoffend, sie brauche Nichts zu retten

Titan III. H

Miniſter jede Minute kommen konnte, das
Verſchweigen der heutigen Gartengeſellſchaft
aufzulegen. Nun warf ſie den tiefſten Schlag¬
ſchatten auf ihre bisherige ſtumme Falſchheit
gegen eine Mutter; denn ſie verlegte die Säe-
und Blüthezeit dieſer Liebe eigenmächtig ſchon
in die Tage vor der Reiſe aufs Land. Wie
erſchrak die warme Seele über die Möglichkeit
einer ſolchen Liebloſigkeit! Sie führte ſo weit
ſie nur konnte die Mutter den reinen, lichten
Perlenbach ihrer Geſchichte und Liebe hinauf
und ſagte Alles, was wir wiſſen, aber ohne
ſehr zu befriedigen, weil ſie gerade die Haupt¬
ſache ausließ; denn aus Schonung gegen die
Mutter mußte ſie die erſcheinende Karoline,
die anfangs die Bilderſtürmerin ihrer Liebe
und dann die begeiſternde Muſe und Braut¬
führerin derſelben geweſen, mit dem Todten¬
ſchein der Zukunft in der Erzählung unſichtbar
bleiben laſſen. —

Sie hielt mit inbrünſtigem Druck die müt¬
terliche Hand unter immer frohern Verſicherun¬
gen, wie ſie ihr hab' immer Alles ſagen wollen;
ſie dachte hoffend, ſie brauche Nichts zu retten

Titan III. H
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[113/0125] Miniſter jede Minute kommen konnte, das Verſchweigen der heutigen Gartengeſellſchaft aufzulegen. Nun warf ſie den tiefſten Schlag¬ ſchatten auf ihre bisherige ſtumme Falſchheit gegen eine Mutter; denn ſie verlegte die Säe- und Blüthezeit dieſer Liebe eigenmächtig ſchon in die Tage vor der Reiſe aufs Land. Wie erſchrak die warme Seele über die Möglichkeit einer ſolchen Liebloſigkeit! Sie führte ſo weit ſie nur konnte die Mutter den reinen, lichten Perlenbach ihrer Geſchichte und Liebe hinauf und ſagte Alles, was wir wiſſen, aber ohne ſehr zu befriedigen, weil ſie gerade die Haupt¬ ſache ausließ; denn aus Schonung gegen die Mutter mußte ſie die erſcheinende Karoline, die anfangs die Bilderſtürmerin ihrer Liebe und dann die begeiſternde Muſe und Braut¬ führerin derſelben geweſen, mit dem Todten¬ ſchein der Zukunft in der Erzählung unſichtbar bleiben laſſen. — Sie hielt mit inbrünſtigem Druck die müt¬ terliche Hand unter immer frohern Verſicherun¬ gen, wie ſie ihr hab' immer Alles ſagen wollen; ſie dachte hoffend, ſie brauche Nichts zu retten Titan III. H

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/125>, abgerufen am 14.05.2024.