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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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sich nur langsam und ruhte an der schönen
Welt, und er gieng ohne hastiges Überschrei¬
ten um die kleinste Landspitze. Die junge Nach¬
tigal wetzte den abgefütterten Schnabel am
Zweige und schüttelte sich lustig, die alte
sang ein kurzes Wiegenlied und hüpfte mit
Tönen nach neuer Kost -- Und überall flogen
und schrieen die Kinder des Frühlings und ihre
Eltern durcheinander -- Kleine, weisse Pfauen
liefen ungeputzt wie kleine Kinder im Grase --
Seelig floß der Schwan zwischen seinen Wel¬
len mit dem weissen Bogen über den unterge¬
tauchten Augen, und seelig schwebte die glän¬
zende Tonmücke wie ein fester Stern unverrückt in
den Lüften über einer fernen, blumigen Glocke.
-- Die Schmetterlinge, fliegende Blumen, und
die Blumen, angekettete Schmetterlinge, suchten
und überdeckten einander und legten ihre bun¬
ten Flügel an Flügel -- Und die Bienen tausch¬
ten Blumen nur gegen Blüthen, und die Rose,
die keine Dornen für sie hat, nur gegen die
Linde. "Liane, (sagte Alban,) wie lieb' ich
"heute durch Dich die ganze Welt, ich möchte
"den Blumen einen Kuß geben und in die vol¬

ſich nur langſam und ruhte an der ſchönen
Welt, und er gieng ohne haſtiges Überſchrei¬
ten um die kleinſte Landſpitze. Die junge Nach¬
tigal wetzte den abgefütterten Schnabel am
Zweige und ſchüttelte ſich luſtig, die alte
ſang ein kurzes Wiegenlied und hüpfte mit
Tönen nach neuer Koſt — Und überall flogen
und ſchrieen die Kinder des Frühlings und ihre
Eltern durcheinander — Kleine, weiſſe Pfauen
liefen ungeputzt wie kleine Kinder im Graſe —
Seelig floß der Schwan zwiſchen ſeinen Wel¬
len mit dem weiſſen Bogen über den unterge¬
tauchten Augen, und ſeelig ſchwebte die glän¬
zende Tonmücke wie ein feſter Stern unverrückt in
den Lüften über einer fernen, blumigen Glocke.
— Die Schmetterlinge, fliegende Blumen, und
die Blumen, angekettete Schmetterlinge, ſuchten
und überdeckten einander und legten ihre bun¬
ten Flügel an Flügel — Und die Bienen tauſch¬
ten Blumen nur gegen Blüthen, und die Roſe,
die keine Dornen für ſie hat, nur gegen die
Linde. „Liane, (ſagte Alban,) wie lieb' ich
„heute durch Dich die ganze Welt, ich möchte
„den Blumen einen Kuß geben und in die vol¬

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[68/0080] ſich nur langſam und ruhte an der ſchönen Welt, und er gieng ohne haſtiges Überſchrei¬ ten um die kleinſte Landſpitze. Die junge Nach¬ tigal wetzte den abgefütterten Schnabel am Zweige und ſchüttelte ſich luſtig, die alte ſang ein kurzes Wiegenlied und hüpfte mit Tönen nach neuer Koſt — Und überall flogen und ſchrieen die Kinder des Frühlings und ihre Eltern durcheinander — Kleine, weiſſe Pfauen liefen ungeputzt wie kleine Kinder im Graſe — Seelig floß der Schwan zwiſchen ſeinen Wel¬ len mit dem weiſſen Bogen über den unterge¬ tauchten Augen, und ſeelig ſchwebte die glän¬ zende Tonmücke wie ein feſter Stern unverrückt in den Lüften über einer fernen, blumigen Glocke. — Die Schmetterlinge, fliegende Blumen, und die Blumen, angekettete Schmetterlinge, ſuchten und überdeckten einander und legten ihre bun¬ ten Flügel an Flügel — Und die Bienen tauſch¬ ten Blumen nur gegen Blüthen, und die Roſe, die keine Dornen für ſie hat, nur gegen die Linde. „Liane, (ſagte Alban,) wie lieb' ich „heute durch Dich die ganze Welt, ich möchte „den Blumen einen Kuß geben und in die vol¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/80>, abgerufen am 29.04.2024.