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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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deutlich, wie die Gestalt, da Albano um ihr
Leben bat, langsam hin und her schüttelte.

"Hör' auf zu beten! (rief sie trostlos) Du
"harte Erscheinung, erhöre aber mich und ma¬
"che nur Ihn glücklich!" betete sie, aber sie
sah Nichts mehr; und sie verbarg das von
Quaalen durchzogne Gesicht mit unaussprechli¬
cher Liebe an seiner Brust.

Hier rief ihr Bruder herauf, der Wagen
sey da. Sie warf ein schnelles, dünnes Ja
hinab. "Trennen wir uns?" fragte Albano;
der Feuerregen der Entzückung war nur als
ein finsterer Asthenregen in seine offne Seele
zurückgefallen -- und darum fuhr er ohne alle
Schranken seines Schmerzes fort: "so haben
wir uns zum letztenmal gesehen?" und unter
dem geschlossenen Augenliede weinte sein gutes
Auge.

"Nein, bei dem Allgütigen nein!" sagte
sie und stand auf, um zu gehen. "Bleibe!"
sagt' er und sie blieb und umarmte ihn wieder.
"Aber begleite mich nicht!" bat sie. "Nicht!"
sagt' er und hielt die Wegziehende lang' an
den Fingerspitzen; es schmerzte ihn so sehr, da

Titan III. F

deutlich, wie die Geſtalt, da Albano um ihr
Leben bat, langſam hin und her ſchüttelte.

„Hör' auf zu beten! (rief ſie troſtlos) Du
„harte Erſcheinung, erhöre aber mich und ma¬
„che nur Ihn glücklich!“ betete ſie, aber ſie
ſah Nichts mehr; und ſie verbarg das von
Quaalen durchzogne Geſicht mit unausſprechli¬
cher Liebe an ſeiner Bruſt.

Hier rief ihr Bruder herauf, der Wagen
ſey da. Sie warf ein ſchnelles, dünnes Ja
hinab. „Trennen wir uns?“ fragte Albano;
der Feuerregen der Entzückung war nur als
ein finſterer Aſthenregen in ſeine offne Seele
zurückgefallen — und darum fuhr er ohne alle
Schranken ſeines Schmerzes fort: „ſo haben
wir uns zum letztenmal geſehen?“ und unter
dem geſchloſſenen Augenliede weinte ſein gutes
Auge.

„Nein, bei dem Allgütigen nein!“ ſagte
ſie und ſtand auf, um zu gehen. „Bleibe!“
ſagt' er und ſie blieb und umarmte ihn wieder.
„Aber begleite mich nicht!“ bat ſie. „Nicht!“
ſagt' er und hielt die Wegziehende lang' an
den Fingerſpitzen; es ſchmerzte ihn ſo ſehr, da

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[81/0093] deutlich, wie die Geſtalt, da Albano um ihr Leben bat, langſam hin und her ſchüttelte. „Hör' auf zu beten! (rief ſie troſtlos) Du „harte Erſcheinung, erhöre aber mich und ma¬ „che nur Ihn glücklich!“ betete ſie, aber ſie ſah Nichts mehr; und ſie verbarg das von Quaalen durchzogne Geſicht mit unausſprechli¬ cher Liebe an ſeiner Bruſt. Hier rief ihr Bruder herauf, der Wagen ſey da. Sie warf ein ſchnelles, dünnes Ja hinab. „Trennen wir uns?“ fragte Albano; der Feuerregen der Entzückung war nur als ein finſterer Aſthenregen in ſeine offne Seele zurückgefallen — und darum fuhr er ohne alle Schranken ſeines Schmerzes fort: „ſo haben wir uns zum letztenmal geſehen?“ und unter dem geſchloſſenen Augenliede weinte ſein gutes Auge. „Nein, bei dem Allgütigen nein!“ ſagte ſie und ſtand auf, um zu gehen. „Bleibe!“ ſagt' er und ſie blieb und umarmte ihn wieder. „Aber begleite mich nicht!“ bat ſie. „Nicht!“ ſagt' er und hielt die Wegziehende lang' an den Fingerſpitzen; es ſchmerzte ihn ſo ſehr, da Titan III. F

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/93>, abgerufen am 29.04.2024.