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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Einen warmen Abend-Regen alle Knospen
blühend aufgebrochen. Indem er jetzt dieses
klare milde Auge unter der wolkenlosen reinen
Stirn anschauete und den feinen vom uner¬
schöpflichen Wohlwollen gegen jedes Leben über¬
hauchten Mund: so begriff er kaum, daß diese
weiche Lilie, diesen leichten Duft aus Morgen¬
roth und Morgenblumen aufgestiegen, der fe¬
ste Geist bewohne, der das Leben regieren
konnte, so wie die zarte Wolke oder die kleine
Nachtigallen-Brust der schmetternde Schlag.

Sie standen jetzt auf dem vom Immergrün
der Jugenderinnerung bedeckten hellen Berge,
wo Albano sonst in den Träumen der Zukunft
geschlummert hatte, wie auf einer lichten hohen
Insel mitten im Schatten-Meere zweier Thä¬
ler. Die Lindenstädter Gebürge, das ewige
Ziel seiner Jugendtage, waren vom Mond be¬
schneiet und die Sternbilder standen blitzend
und groß auf ihnen hin. Er sah Idoine nun
an -- wie gehörte diese Seele unter die Ster¬
ne! -- "Wenn die Welt rein ist vom niedrigen
Tage -- wenn der Himmel mit seinen heilig¬
sten fernsten Sonnen das Erdenland ansieht --

Einen warmen Abend-Regen alle Knospen
blühend aufgebrochen. Indem er jetzt dieſes
klare milde Auge unter der wolkenloſen reinen
Stirn anſchauete und den feinen vom uner¬
ſchöpflichen Wohlwollen gegen jedes Leben über¬
hauchten Mund: ſo begriff er kaum, daß dieſe
weiche Lilie, dieſen leichten Duft aus Morgen¬
roth und Morgenblumen aufgeſtiegen, der fe¬
ſte Geiſt bewohne, der das Leben regieren
konnte, ſo wie die zarte Wolke oder die kleine
Nachtigallen-Bruſt der ſchmetternde Schlag.

Sie ſtanden jetzt auf dem vom Immergrün
der Jugenderinnerung bedeckten hellen Berge,
wo Albano ſonſt in den Träumen der Zukunft
geſchlummert hatte, wie auf einer lichten hohen
Inſel mitten im Schatten-Meere zweier Thä¬
ler. Die Lindenſtädter Gebürge, das ewige
Ziel ſeiner Jugendtage, waren vom Mond be¬
ſchneiet und die Sternbilder ſtanden blitzend
und groß auf ihnen hin. Er ſah Idoine nun
an — wie gehörte dieſe Seele unter die Ster¬
ne! — „Wenn die Welt rein iſt vom niedrigen
Tage — wenn der Himmel mit ſeinen heilig¬
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[569/0581] Einen warmen Abend-Regen alle Knospen blühend aufgebrochen. Indem er jetzt dieſes klare milde Auge unter der wolkenloſen reinen Stirn anſchauete und den feinen vom uner¬ ſchöpflichen Wohlwollen gegen jedes Leben über¬ hauchten Mund: ſo begriff er kaum, daß dieſe weiche Lilie, dieſen leichten Duft aus Morgen¬ roth und Morgenblumen aufgeſtiegen, der fe¬ ſte Geiſt bewohne, der das Leben regieren konnte, ſo wie die zarte Wolke oder die kleine Nachtigallen-Bruſt der ſchmetternde Schlag. Sie ſtanden jetzt auf dem vom Immergrün der Jugenderinnerung bedeckten hellen Berge, wo Albano ſonſt in den Träumen der Zukunft geſchlummert hatte, wie auf einer lichten hohen Inſel mitten im Schatten-Meere zweier Thä¬ ler. Die Lindenſtädter Gebürge, das ewige Ziel ſeiner Jugendtage, waren vom Mond be¬ ſchneiet und die Sternbilder ſtanden blitzend und groß auf ihnen hin. Er ſah Idoine nun an — wie gehörte dieſe Seele unter die Ster¬ ne! — „Wenn die Welt rein iſt vom niedrigen Tage — wenn der Himmel mit ſeinen heilig¬ ſten fernſten Sonnen das Erdenland anſieht —

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/581>, abgerufen am 29.04.2024.