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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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andere wieder in eine Gaß zurük, wo er schon
ein und zwey mal gewesen, so gar wenn er
bey einer Thüre zu noch im Rodel gelesen, was
er in dem Hause zu sagen habe, wußte er es
schon nicht mehr, wenn er in die Stube hinein
kam, und mußte ihn wieder aus dem Sak
nehmen, zusehen, ob es den Hans oder den
Heirj antreffe! So nahms dem armen Mann
den Kopf, daß er sein liebes Töchterlein also
im Sak herumtragen mußte. Er hätte es am
Morgen mit Füssen vertretten, wenns die Mut-
ter nicht im ersten Sturm hinter dem Heustok
verborgen, bis er zum Haus hinaus war. Wo
er hin kam, war den Leuthen das Herz groß,
aber doch tröstete es viele, daß sein Töchterlj
es auch mithalten müsse.

Aber ich kann nicht erzählen, wie viel ihm
allerley begegnet! doch hielt ihn Niemand so
lang auf als die Barbel, die die Fromme heißt.

Sie hatte ihre beyden Hände auf der offe-
nen Bibel übereinander, kehrte das gelbe
Weiß in den Augen um, wie ein Bok, wenn
man ihn mezget, und sah gen Himmel, als er
ihr sagte, warum er da seye. Um Gottes
Willen Weibel, antwortet sie ihm, was denket
ihr auch, daß ihr zu mir kommet? b'hüt mich
Gott dafür, ich bin meiner Lebtag dem Vogt
weder viel noch wenig schuldig gewesen, es

L 4

andere wieder in eine Gaß zuruͤk, wo er ſchon
ein und zwey mal geweſen, ſo gar wenn er
bey einer Thuͤre zu noch im Rodel geleſen, was
er in dem Hauſe zu ſagen habe, wußte er es
ſchon nicht mehr, wenn er in die Stube hinein
kam, und mußte ihn wieder aus dem Sak
nehmen, zuſehen, ob es den Hans oder den
Heirj antreffe! So nahms dem armen Mann
den Kopf, daß er ſein liebes Toͤchterlein alſo
im Sak herumtragen mußte. Er haͤtte es am
Morgen mit Fuͤſſen vertretten, wenns die Mut-
ter nicht im erſten Sturm hinter dem Heuſtok
verborgen, bis er zum Haus hinaus war. Wo
er hin kam, war den Leuthen das Herz groß,
aber doch troͤſtete es viele, daß ſein Toͤchterlj
es auch mithalten muͤſſe.

Aber ich kann nicht erzaͤhlen, wie viel ihm
allerley begegnet! doch hielt ihn Niemand ſo
lang auf als die Barbel, die die Fromme heißt.

Sie hatte ihre beyden Haͤnde auf der offe-
nen Bibel uͤbereinander, kehrte das gelbe
Weiß in den Augen um, wie ein Bok, wenn
man ihn mezget, und ſah gen Himmel, als er
ihr ſagte, warum er da ſeye. Um Gottes
Willen Weibel, antwortet ſie ihm, was denket
ihr auch, daß ihr zu mir kommet? b’huͤt mich
Gott dafuͤr, ich bin meiner Lebtag dem Vogt
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[167/0189] andere wieder in eine Gaß zuruͤk, wo er ſchon ein und zwey mal geweſen, ſo gar wenn er bey einer Thuͤre zu noch im Rodel geleſen, was er in dem Hauſe zu ſagen habe, wußte er es ſchon nicht mehr, wenn er in die Stube hinein kam, und mußte ihn wieder aus dem Sak nehmen, zuſehen, ob es den Hans oder den Heirj antreffe! So nahms dem armen Mann den Kopf, daß er ſein liebes Toͤchterlein alſo im Sak herumtragen mußte. Er haͤtte es am Morgen mit Fuͤſſen vertretten, wenns die Mut- ter nicht im erſten Sturm hinter dem Heuſtok verborgen, bis er zum Haus hinaus war. Wo er hin kam, war den Leuthen das Herz groß, aber doch troͤſtete es viele, daß ſein Toͤchterlj es auch mithalten muͤſſe. Aber ich kann nicht erzaͤhlen, wie viel ihm allerley begegnet! doch hielt ihn Niemand ſo lang auf als die Barbel, die die Fromme heißt. Sie hatte ihre beyden Haͤnde auf der offe- nen Bibel uͤbereinander, kehrte das gelbe Weiß in den Augen um, wie ein Bok, wenn man ihn mezget, und ſah gen Himmel, als er ihr ſagte, warum er da ſeye. Um Gottes Willen Weibel, antwortet ſie ihm, was denket ihr auch, daß ihr zu mir kommet? b’huͤt mich Gott dafuͤr, ich bin meiner Lebtag dem Vogt weder viel noch wenig ſchuldig geweſen, es L 4

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/189>, abgerufen am 19.04.2024.