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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Gelegenheit hätte ihr oder dem Junker zu die-
nen.

Das ist eine Glatte, die es kaum meynt, wie
sie es sagt, dachte Therese, so bald sie das Maul
aufthat, sah ihr auch so lang sie redte unver-
wandt auf Maul und Augen und hatte auf der
Zunge ihr zu sagen, sie seye nicht um ihret-
willen sondern um der Tochterwillen da. Sie
sagte es nicht, aber auch nichts anders, son-
dern wandte sich wieder an ihre Tochter und
sagte dieser, der Junker erwarte sie mit der
Gertrud und dem Mareylj diesen Abend noch
im Pfarrhaus, wenn er vom Ried heimkomme.

Die Alte that gar nicht, wie wenn sie es
achtete, daß sie die Junkerin stehen ließ, und
unter der Thüre als der Carl den Hut schwang,
und er, und der ganze Zug mit ihm, rief: "Es
lebe die gute Reinoldin"! stuhnd sie so weit vor
das Haus hinaus als sie nur konnte, und nikte
dem Zug mit Kopf und Händen so weit sie ihn
sah, nach, indessen die Junge wie ein Pfeil in
die Stube hinein sprang und hinter dem Ofen
mit den Füssen über ihre Mutter stampfte.

Diese aber gieng erst, da sie kein Bein mehr
vom Zug sah, wieder hinein, und sagte die
Stubenthür noch in der Hand haltend zu ihrer
Tochter: du hast dich aber einmal schön auf-
geführt, mit dem alten Zusaz, du thust es mir
nur zu leid, und hast nichts damit gesucht,
als mich zu Schanden zu machen.


Gelegenheit haͤtte ihr oder dem Junker zu die-
nen.

Das iſt eine Glatte, die es kaum meynt, wie
ſie es ſagt, dachte Thereſe, ſo bald ſie das Maul
aufthat, ſah ihr auch ſo lang ſie redte unver-
wandt auf Maul und Augen und hatte auf der
Zunge ihr zu ſagen, ſie ſeye nicht um ihret-
willen ſondern um der Tochterwillen da. Sie
ſagte es nicht, aber auch nichts anders, ſon-
dern wandte ſich wieder an ihre Tochter und
ſagte dieſer, der Junker erwarte ſie mit der
Gertrud und dem Mareylj dieſen Abend noch
im Pfarrhaus, wenn er vom Ried heimkomme.

Die Alte that gar nicht, wie wenn ſie es
achtete, daß ſie die Junkerin ſtehen ließ, und
unter der Thuͤre als der Carl den Hut ſchwang,
und er, und der ganze Zug mit ihm, rief: „Es
lebe die gute Reinoldin”! ſtuhnd ſie ſo weit vor
das Haus hinaus als ſie nur konnte, und nikte
dem Zug mit Kopf und Haͤnden ſo weit ſie ihn
ſah, nach, indeſſen die Junge wie ein Pfeil in
die Stube hinein ſprang und hinter dem Ofen
mit den Fuͤſſen uͤber ihre Mutter ſtampfte.

Dieſe aber gieng erſt, da ſie kein Bein mehr
vom Zug ſah, wieder hinein, und ſagte die
Stubenthuͤr noch in der Hand haltend zu ihrer
Tochter: du haſt dich aber einmal ſchoͤn auf-
gefuͤhrt, mit dem alten Zuſaz, du thuſt es mir
nur zu leid, und haſt nichts damit geſucht,
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[251/0273] Gelegenheit haͤtte ihr oder dem Junker zu die- nen. Das iſt eine Glatte, die es kaum meynt, wie ſie es ſagt, dachte Thereſe, ſo bald ſie das Maul aufthat, ſah ihr auch ſo lang ſie redte unver- wandt auf Maul und Augen und hatte auf der Zunge ihr zu ſagen, ſie ſeye nicht um ihret- willen ſondern um der Tochterwillen da. Sie ſagte es nicht, aber auch nichts anders, ſon- dern wandte ſich wieder an ihre Tochter und ſagte dieſer, der Junker erwarte ſie mit der Gertrud und dem Mareylj dieſen Abend noch im Pfarrhaus, wenn er vom Ried heimkomme. Die Alte that gar nicht, wie wenn ſie es achtete, daß ſie die Junkerin ſtehen ließ, und unter der Thuͤre als der Carl den Hut ſchwang, und er, und der ganze Zug mit ihm, rief: „Es lebe die gute Reinoldin”! ſtuhnd ſie ſo weit vor das Haus hinaus als ſie nur konnte, und nikte dem Zug mit Kopf und Haͤnden ſo weit ſie ihn ſah, nach, indeſſen die Junge wie ein Pfeil in die Stube hinein ſprang und hinter dem Ofen mit den Fuͤſſen uͤber ihre Mutter ſtampfte. Dieſe aber gieng erſt, da ſie kein Bein mehr vom Zug ſah, wieder hinein, und ſagte die Stubenthuͤr noch in der Hand haltend zu ihrer Tochter: du haſt dich aber einmal ſchoͤn auf- gefuͤhrt, mit dem alten Zuſaz, du thuſt es mir nur zu leid, und haſt nichts damit geſucht, als mich zu Schanden zu machen.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/273>, abgerufen am 02.05.2024.