um die Schultern legte; als Helene weinend der jungen Braut den Kranz in die Locken drückte, da war es mir, als sei nun ein lange dunkles Räthsel gelöst und ich senkte das Haupt vor der geheimnißvollen Macht, welche die Geschicke lenkt und ein Auge hat für das Kind in der Wiege und die Nation im Todeskampf. Wie die Fäden laufen mußten, um hier in der armen Gasse sich zusammen zu schürzen zu einem neuen Bande! Wie so viele Herzen fast brechen wollten, um ein neues Glück aufsprießen zu lassen! Das ist die große, ewige Melodie, welche der Weltgeist greift auf der Harfe des Lebens, und welche die Mutter im Lächeln ihres Kindes, der Denker in den Blättern der Natur und Geschichte wahrnimmt! --
Wir sprachen an jenem Tage nicht viel! Das Glück ist stumm und was die Liebe -- die wahre Offenbarung Gottes -- sich zuflüstert, hat noch kein Dichter auf Papyrus, Pergament oder Papier festgehalten. Die kleine Kirche war gar feierlich heilig, als der junge Maler -- er dachte in dem Augenblick gewiß nicht an sein gefeiertes Bild: Milton, den Galilei im Gefängniß zu Rom besuchend --, als der junge Maler seine schöne Braut hineinführte an den geschmückten, lichterglänzen- den Altar. Und Niemand fehlte in dem Kreise theilneh- mender Gesichter umher! Da war das Atelier, da waren
um die Schultern legte; als Helene weinend der jungen Braut den Kranz in die Locken drückte, da war es mir, als ſei nun ein lange dunkles Räthſel gelöſt und ich ſenkte das Haupt vor der geheimnißvollen Macht, welche die Geſchicke lenkt und ein Auge hat für das Kind in der Wiege und die Nation im Todeskampf. Wie die Fäden laufen mußten, um hier in der armen Gaſſe ſich zuſammen zu ſchürzen zu einem neuen Bande! Wie ſo viele Herzen faſt brechen wollten, um ein neues Glück aufſprießen zu laſſen! Das iſt die große, ewige Melodie, welche der Weltgeiſt greift auf der Harfe des Lebens, und welche die Mutter im Lächeln ihres Kindes, der Denker in den Blättern der Natur und Geſchichte wahrnimmt! —
Wir ſprachen an jenem Tage nicht viel! Das Glück iſt ſtumm und was die Liebe — die wahre Offenbarung Gottes — ſich zuflüſtert, hat noch kein Dichter auf Papyrus, Pergament oder Papier feſtgehalten. Die kleine Kirche war gar feierlich heilig, als der junge Maler — er dachte in dem Augenblick gewiß nicht an ſein gefeiertes Bild: Milton, den Galilei im Gefängniß zu Rom beſuchend —, als der junge Maler ſeine ſchöne Braut hineinführte an den geſchmückten, lichterglänzen- den Altar. Und Niemand fehlte in dem Kreiſe theilneh- mender Geſichter umher! Da war das Atelier, da waren
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um die Schultern legte; als Helene weinend der jungen
Braut den Kranz in die Locken drückte, da war es mir,
als ſei nun ein lange dunkles Räthſel gelöſt und ich
ſenkte das Haupt vor der geheimnißvollen Macht, welche
die Geſchicke lenkt und ein Auge hat für das Kind in
der Wiege und die Nation im Todeskampf. Wie die
Fäden laufen mußten, um hier in der armen Gaſſe ſich
zuſammen zu ſchürzen zu einem neuen Bande! Wie ſo
viele Herzen faſt brechen wollten, um ein neues Glück
aufſprießen zu laſſen! Das iſt die große, ewige Melodie,
welche der Weltgeiſt greift auf der Harfe des Lebens,
und welche die Mutter im Lächeln ihres Kindes, der
Denker in den Blättern der Natur und Geſchichte
wahrnimmt! —
Wir ſprachen an jenem Tage nicht viel! Das Glück
iſt ſtumm und was die Liebe — die wahre Offenbarung
Gottes — ſich zuflüſtert, hat noch kein Dichter auf
Papyrus, Pergament oder Papier feſtgehalten. Die
kleine Kirche war gar feierlich heilig, als der junge
Maler — er dachte in dem Augenblick gewiß nicht an
ſein gefeiertes Bild: Milton, den Galilei im Gefängniß
zu Rom beſuchend —, als der junge Maler ſeine ſchöne
Braut hineinführte an den geſchmückten, lichterglänzen-
den Altar. Und Niemand fehlte in dem Kreiſe theilneh-
mender Geſichter umher! Da war das Atelier, da waren
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/268>, abgerufen am 28.04.2024.
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