Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

in die alte Heimath auf Besuch gekommen, um Dich
zu hören."

"Sehr schmeichelhaft! also auch deshalb zuerst
von den alten Freunden! von euch nichtsnutzigen,
boshaftigen, unverschämten Schlingeln, die ihr, so
lange ich euch zu denken vermag, euer Bestes gethan
habt, mir die Tage meiner Kindheit und Jugend zu
verekeln."

"Stopfkuchen, ich bitte Dich --"

"Jawohl, Stopfkuchen! Was konnte ich denn
dafür, daß ich schwach von Beinen und stark von
Magen und Verdauung war? hatte ich mir die
Kraft und Macht meiner peristaltischen Bewegungen
und die Hinfälligkeit meiner Extremitäten und über-
haupt meine Veranlagung zum Idiotenthum aner-
schaffen? Hätte ich die Wahl gehabt, so wäre ich
ja zehntausendmal lieber als Qualle in der bittern
Salzfluth, denn als Schaumanns Junge, der dicke,
dumme Heinrich Schaumann, in die Erscheinung
getreten. Sauber seid ihr mit mir umgegangen,
und habt euer schändliches Menschenrecht genommen.
Leugne es nicht, Eduard!"

"Du gibst keine Ausnahme zu, Heinrich?"

"Keine! Soll ich etwa Dich ausnehmen, Du
mein bester, liebster Freund? Bilde Dir das nicht
ein! frage nachher nur Tinchen bei Tische, was sie
darüber denkt. Sie hat Dich ja auch damals mit
den Andern vor ihres Vaters Burgwall gehabt. Hast
Du nicht mit den Wölfen geheult, so hast Du mit
den Eseln geyhaet, und jedenfalls bist auch Du mit

6*

in die alte Heimath auf Beſuch gekommen, um Dich
zu hören.“

„Sehr ſchmeichelhaft! alſo auch deshalb zuerſt
von den alten Freunden! von euch nichtsnutzigen,
boshaftigen, unverſchämten Schlingeln, die ihr, ſo
lange ich euch zu denken vermag, euer Beſtes gethan
habt, mir die Tage meiner Kindheit und Jugend zu
verekeln.“

„Stopfkuchen, ich bitte Dich —“

„Jawohl, Stopfkuchen! Was konnte ich denn
dafür, daß ich ſchwach von Beinen und ſtark von
Magen und Verdauung war? hatte ich mir die
Kraft und Macht meiner periſtaltiſchen Bewegungen
und die Hinfälligkeit meiner Extremitäten und über-
haupt meine Veranlagung zum Idiotenthum aner-
ſchaffen? Hätte ich die Wahl gehabt, ſo wäre ich
ja zehntauſendmal lieber als Qualle in der bittern
Salzfluth, denn als Schaumanns Junge, der dicke,
dumme Heinrich Schaumann, in die Erſcheinung
getreten. Sauber ſeid ihr mit mir umgegangen,
und habt euer ſchändliches Menſchenrecht genommen.
Leugne es nicht, Eduard!“

„Du gibſt keine Ausnahme zu, Heinrich?“

„Keine! Soll ich etwa Dich ausnehmen, Du
mein beſter, liebſter Freund? Bilde Dir das nicht
ein! frage nachher nur Tinchen bei Tiſche, was ſie
darüber denkt. Sie hat Dich ja auch damals mit
den Andern vor ihres Vaters Burgwall gehabt. Haſt
Du nicht mit den Wölfen geheult, ſo haſt Du mit
den Eſeln geyhaet, und jedenfalls biſt auch Du mit

6*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="83"/>
in die alte Heimath auf Be&#x017F;uch gekommen, um Dich<lb/>
zu hören.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehr &#x017F;chmeichelhaft! al&#x017F;o auch deshalb zuer&#x017F;t<lb/>
von den alten Freunden! von euch nichtsnutzigen,<lb/>
boshaftigen, unver&#x017F;chämten Schlingeln, die ihr, &#x017F;o<lb/>
lange ich euch zu denken vermag, euer Be&#x017F;tes gethan<lb/>
habt, mir die Tage meiner Kindheit und Jugend zu<lb/>
verekeln.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Stopfkuchen, ich bitte Dich &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jawohl, Stopfkuchen! Was konnte ich denn<lb/>
dafür, daß ich &#x017F;chwach von Beinen und &#x017F;tark von<lb/>
Magen und Verdauung war? hatte ich mir die<lb/>
Kraft und Macht meiner peri&#x017F;talti&#x017F;chen Bewegungen<lb/>
und die Hinfälligkeit meiner Extremitäten und über-<lb/>
haupt meine Veranlagung zum Idiotenthum aner-<lb/>
&#x017F;chaffen? Hätte ich die Wahl gehabt, &#x017F;o wäre ich<lb/>
ja zehntau&#x017F;endmal lieber als Qualle in der bittern<lb/>
Salzfluth, denn als Schaumanns Junge, der dicke,<lb/>
dumme Heinrich Schaumann, in die Er&#x017F;cheinung<lb/>
getreten. Sauber &#x017F;eid ihr mit mir umgegangen,<lb/>
und habt euer &#x017F;chändliches Men&#x017F;chenrecht genommen.<lb/>
Leugne es nicht, Eduard!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du gib&#x017F;t keine Ausnahme zu, Heinrich?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Keine! Soll ich etwa Dich ausnehmen, Du<lb/>
mein be&#x017F;ter, lieb&#x017F;ter Freund? Bilde Dir das nicht<lb/>
ein! frage nachher nur Tinchen bei Ti&#x017F;che, was &#x017F;ie<lb/>
darüber denkt. Sie hat Dich ja auch damals mit<lb/>
den Andern vor ihres Vaters Burgwall gehabt. Ha&#x017F;t<lb/>
Du nicht mit den Wölfen geheult, &#x017F;o ha&#x017F;t Du mit<lb/>
den E&#x017F;eln geyhaet, und jedenfalls bi&#x017F;t auch Du mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0093] in die alte Heimath auf Beſuch gekommen, um Dich zu hören.“ „Sehr ſchmeichelhaft! alſo auch deshalb zuerſt von den alten Freunden! von euch nichtsnutzigen, boshaftigen, unverſchämten Schlingeln, die ihr, ſo lange ich euch zu denken vermag, euer Beſtes gethan habt, mir die Tage meiner Kindheit und Jugend zu verekeln.“ „Stopfkuchen, ich bitte Dich —“ „Jawohl, Stopfkuchen! Was konnte ich denn dafür, daß ich ſchwach von Beinen und ſtark von Magen und Verdauung war? hatte ich mir die Kraft und Macht meiner periſtaltiſchen Bewegungen und die Hinfälligkeit meiner Extremitäten und über- haupt meine Veranlagung zum Idiotenthum aner- ſchaffen? Hätte ich die Wahl gehabt, ſo wäre ich ja zehntauſendmal lieber als Qualle in der bittern Salzfluth, denn als Schaumanns Junge, der dicke, dumme Heinrich Schaumann, in die Erſcheinung getreten. Sauber ſeid ihr mit mir umgegangen, und habt euer ſchändliches Menſchenrecht genommen. Leugne es nicht, Eduard!“ „Du gibſt keine Ausnahme zu, Heinrich?“ „Keine! Soll ich etwa Dich ausnehmen, Du mein beſter, liebſter Freund? Bilde Dir das nicht ein! frage nachher nur Tinchen bei Tiſche, was ſie darüber denkt. Sie hat Dich ja auch damals mit den Andern vor ihres Vaters Burgwall gehabt. Haſt Du nicht mit den Wölfen geheult, ſo haſt Du mit den Eſeln geyhaet, und jedenfalls biſt auch Du mit 6*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/93
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/93>, abgerufen am 29.04.2024.