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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Jacob und Arabella mögen vielleicht ihre gu-
ten Ursachen haben. Allein was hat den Vater
bewogen, so zu handeln als er gehandelt hat? Was
die Mutter? die Base? die Onckles? Wer kann
mit solchen unverständigen Halb-Menschen Mitley-
den haben?

Meine Schöne wird bald hören, wie weit ihre
thörichte Rache gegen sie gehet: alsdenn wird sie
hoffentlich ein mehreres Zutrauen zu mir fassen.
Denn will ich mercken lassen, daß ich eifersüchtig
bin, wenn mir ihre Liebe nicht den gewünschten Vor-
zug vor allen andern in der Welt giebt: denn soll
sie mir bekennen, daß sie Liebe und Danckbarkeit
gegen mich fühlet: denn will ich sie küssen, so oft
ich Lust habe, und nicht mehr als ein hungriger Hund
stehen, der einen Bissen vor sich siehet, und ob ihm
gleich der Schaum von dem Munde fliesset, sich doch
nicht unterstehen darf, darnach zu schnappen.

Von Natur bin ich ein blöder Hund. Jch bin
noch blöde, wenn ich dieses Frauenzimmer vor mir
habe. Blöde bin ich, und ich kenne doch das an-
dere Geschlecht von aussen und von innen. Allein
meine Blödigkeit hat mir eben diese Bekanntschaft
erworben. Denn, Bruder, bey einer genauen Prü-
fung meiner selbst, dabey ich eine Vergleichung zwi-
schen mir und jenem Geschlecht angestellet habe,
habe ich gefunden, daß eine blöde Manns-Person
etwas von einer weiblichen Seele hat, und daher
eben so geschickt ist, die Absichten und Gedancken
der Schönen zu errathen, als die Schönen selbst.

Die


Jacob und Arabella moͤgen vielleicht ihre gu-
ten Urſachen haben. Allein was hat den Vater
bewogen, ſo zu handeln als er gehandelt hat? Was
die Mutter? die Baſe? die Onckles? Wer kann
mit ſolchen unverſtaͤndigen Halb-Menſchen Mitley-
den haben?

Meine Schoͤne wird bald hoͤren, wie weit ihre
thoͤrichte Rache gegen ſie gehet: alsdenn wird ſie
hoffentlich ein mehreres Zutrauen zu mir faſſen.
Denn will ich mercken laſſen, daß ich eiferſuͤchtig
bin, wenn mir ihre Liebe nicht den gewuͤnſchten Vor-
zug vor allen andern in der Welt giebt: denn ſoll
ſie mir bekennen, daß ſie Liebe und Danckbarkeit
gegen mich fuͤhlet: denn will ich ſie kuͤſſen, ſo oft
ich Luſt habe, und nicht mehr als ein hungriger Hund
ſtehen, der einen Biſſen vor ſich ſiehet, und ob ihm
gleich der Schaum von dem Munde flieſſet, ſich doch
nicht unterſtehen darf, darnach zu ſchnappen.

Von Natur bin ich ein bloͤder Hund. Jch bin
noch bloͤde, wenn ich dieſes Frauenzimmer vor mir
habe. Bloͤde bin ich, und ich kenne doch das an-
dere Geſchlecht von auſſen und von innen. Allein
meine Bloͤdigkeit hat mir eben dieſe Bekanntſchaft
erworben. Denn, Bruder, bey einer genauen Pruͤ-
fung meiner ſelbſt, dabey ich eine Vergleichung zwi-
ſchen mir und jenem Geſchlecht angeſtellet habe,
habe ich gefunden, daß eine bloͤde Manns-Perſon
etwas von einer weiblichen Seele hat, und daher
eben ſo geſchickt iſt, die Abſichten und Gedancken
der Schoͤnen zu errathen, als die Schoͤnen ſelbſt.

Die
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[208/0222] Jacob und Arabella moͤgen vielleicht ihre gu- ten Urſachen haben. Allein was hat den Vater bewogen, ſo zu handeln als er gehandelt hat? Was die Mutter? die Baſe? die Onckles? Wer kann mit ſolchen unverſtaͤndigen Halb-Menſchen Mitley- den haben? Meine Schoͤne wird bald hoͤren, wie weit ihre thoͤrichte Rache gegen ſie gehet: alsdenn wird ſie hoffentlich ein mehreres Zutrauen zu mir faſſen. Denn will ich mercken laſſen, daß ich eiferſuͤchtig bin, wenn mir ihre Liebe nicht den gewuͤnſchten Vor- zug vor allen andern in der Welt giebt: denn ſoll ſie mir bekennen, daß ſie Liebe und Danckbarkeit gegen mich fuͤhlet: denn will ich ſie kuͤſſen, ſo oft ich Luſt habe, und nicht mehr als ein hungriger Hund ſtehen, der einen Biſſen vor ſich ſiehet, und ob ihm gleich der Schaum von dem Munde flieſſet, ſich doch nicht unterſtehen darf, darnach zu ſchnappen. Von Natur bin ich ein bloͤder Hund. Jch bin noch bloͤde, wenn ich dieſes Frauenzimmer vor mir habe. Bloͤde bin ich, und ich kenne doch das an- dere Geſchlecht von auſſen und von innen. Allein meine Bloͤdigkeit hat mir eben dieſe Bekanntſchaft erworben. Denn, Bruder, bey einer genauen Pruͤ- fung meiner ſelbſt, dabey ich eine Vergleichung zwi- ſchen mir und jenem Geſchlecht angeſtellet habe, habe ich gefunden, daß eine bloͤde Manns-Perſon etwas von einer weiblichen Seele hat, und daher eben ſo geſchickt iſt, die Abſichten und Gedancken der Schoͤnen zu errathen, als die Schoͤnen ſelbſt. Die

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/222>, abgerufen am 29.04.2024.