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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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dern Gottes in der Natur, wie sie es einmal nann-
te, anzusehen.

Jhr Fenster liegt gegen Osten. Unterdessen
daß ich bey ihr bin, müssen die Thäler von den
Strahlen derselben wie Gold gefärbet werden:
denn den Hügeln haben sie schon eine lachende
Gestalt und der Natur ein angenehmes Ansehen
gegeben.

Wie wenig wird sich nach deinen Gedanken
dieser lustige Eingang zu einer so finstern Sache
schicken, als diejenige ist, zu der ich mich itzo
wende.

Es ist mir lieb zu hören, daß deine verdries-
liche Erwartung endlich erfüllet ist.

Dein Bedienter sagt mir, du seyst über den
Abgang des alten Knabens herzlich betrübt.

Jch muß bekennen, daß du wohl so aussehen
magst, als wenn du es wärest: da es dir Quaal
genug gemacht hat, viele Tage und Nächte so
nahe um einen Sterbenden zu seyn, und seine
herannahende Stunde zu sehen - - Da du des
Wohlstandes wegen genöthigt gewesen, dich zu
stellen, als wenn du über seine quälende Schmer-
zen weinetest. Wenn du den Anlauf von tau-
send Unverschämten leiden und ihnen auf ihre
Nachfrage nach der Gesundheit eines Mannes,
dessen Tod du wünschetest, Antwort geben muß-
test - - Wenn du ihm vorbeten - - denn so
hast du mir einmal geschrieben - - Wenn du
ihm vorlesen mußtest - - Wenn du gezwungen
wärest, dich in Berathschlagungen einzulassen mit

einem



dern Gottes in der Natur, wie ſie es einmal nann-
te, anzuſehen.

Jhr Fenſter liegt gegen Oſten. Unterdeſſen
daß ich bey ihr bin, muͤſſen die Thaͤler von den
Strahlen derſelben wie Gold gefaͤrbet werden:
denn den Huͤgeln haben ſie ſchon eine lachende
Geſtalt und der Natur ein angenehmes Anſehen
gegeben.

Wie wenig wird ſich nach deinen Gedanken
dieſer luſtige Eingang zu einer ſo finſtern Sache
ſchicken, als diejenige iſt, zu der ich mich itzo
wende.

Es iſt mir lieb zu hoͤren, daß deine verdries-
liche Erwartung endlich erfuͤllet iſt.

Dein Bedienter ſagt mir, du ſeyſt uͤber den
Abgang des alten Knabens herzlich betruͤbt.

Jch muß bekennen, daß du wohl ſo ausſehen
magſt, als wenn du es waͤreſt: da es dir Quaal
genug gemacht hat, viele Tage und Naͤchte ſo
nahe um einen Sterbenden zu ſeyn, und ſeine
herannahende Stunde zu ſehen ‒ ‒ Da du des
Wohlſtandes wegen genoͤthigt geweſen, dich zu
ſtellen, als wenn du uͤber ſeine quaͤlende Schmer-
zen weineteſt. Wenn du den Anlauf von tau-
ſend Unverſchaͤmten leiden und ihnen auf ihre
Nachfrage nach der Geſundheit eines Mannes,
deſſen Tod du wuͤnſcheteſt, Antwort geben muß-
teſt ‒ ‒ Wenn du ihm vorbeten ‒ ‒ denn ſo
haſt du mir einmal geſchrieben ‒ ‒ Wenn du
ihm vorleſen mußteſt ‒ ‒ Wenn du gezwungen
waͤreſt, dich in Berathſchlagungen einzulaſſen mit

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[486/0492] dern Gottes in der Natur, wie ſie es einmal nann- te, anzuſehen. Jhr Fenſter liegt gegen Oſten. Unterdeſſen daß ich bey ihr bin, muͤſſen die Thaͤler von den Strahlen derſelben wie Gold gefaͤrbet werden: denn den Huͤgeln haben ſie ſchon eine lachende Geſtalt und der Natur ein angenehmes Anſehen gegeben. Wie wenig wird ſich nach deinen Gedanken dieſer luſtige Eingang zu einer ſo finſtern Sache ſchicken, als diejenige iſt, zu der ich mich itzo wende. Es iſt mir lieb zu hoͤren, daß deine verdries- liche Erwartung endlich erfuͤllet iſt. Dein Bedienter ſagt mir, du ſeyſt uͤber den Abgang des alten Knabens herzlich betruͤbt. Jch muß bekennen, daß du wohl ſo ausſehen magſt, als wenn du es waͤreſt: da es dir Quaal genug gemacht hat, viele Tage und Naͤchte ſo nahe um einen Sterbenden zu ſeyn, und ſeine herannahende Stunde zu ſehen ‒ ‒ Da du des Wohlſtandes wegen genoͤthigt geweſen, dich zu ſtellen, als wenn du uͤber ſeine quaͤlende Schmer- zen weineteſt. Wenn du den Anlauf von tau- ſend Unverſchaͤmten leiden und ihnen auf ihre Nachfrage nach der Geſundheit eines Mannes, deſſen Tod du wuͤnſcheteſt, Antwort geben muß- teſt ‒ ‒ Wenn du ihm vorbeten ‒ ‒ denn ſo haſt du mir einmal geſchrieben ‒ ‒ Wenn du ihm vorleſen mußteſt ‒ ‒ Wenn du gezwungen waͤreſt, dich in Berathſchlagungen einzulaſſen mit einem

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/492>, abgerufen am 03.05.2024.