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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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incorrect sein und mit der Normalität, die in ihr sich aus¬
drücken sollte, mehr oder weniger in Widerspruch stehen,
allein sie braucht deshalb noch nicht von sich zurückzuschrecken.
Große Incorrectheiten können sogar durch große mit ihnen
nach andern Seiten hin verbundene Schönheiten bis zur
Vergessenheit aufgewogen werden. Erst dann wird das In¬
correcte widrig, wenn es die Totalität der Gestalt zerstückelt,
wenn es eine durchgängige Stümperhaftigkeit verräth, deren
Anmaaßung uns empört, falls sie uns nicht lächerlich wird.
Das Gemeine ist häßlich, weil es in seiner Kleinlichkeit,
Schwächlichkeit und Niedrigkeit die Unfreiheit darstellt, die
sich über ihre Schranken erheben könnte, statt dessen aber in
der Plattheit des Zufalls und der Willkür, in der Dürftig¬
keit der Ohnmacht, in der Niedrigkeit des Sinnlichen und
Rohen verharrt. Das Gemeine ist unschön, allein es ist
deshalb noch nicht widrig und die Frivolität bestrebt sich
sogar, uns durch sinnlichen Zauber zu bestricken, und uns
seine Verhöhnung des Heiligen durch formelle Liebenswür¬
digkeit recht eingänglich zu machen.

Das Widrige erzeugt sich aus dem gefällig Schönen
als dessen negative Entgegensetzung. Als positiver Gegensatz
des quantitativ Erhabenen ist das Gefällige dasjenige Kleine,
das in seiner Totalität leicht übersichtlich, in seinen Theilen
zierlich ausgearbeitet ist und das wir im Deutschen niedlich
nennen. Das Kleine als solches, ein kleines Haus, ein
kleiner Baum, ein kleines Gedicht u. s. f. ist deshalb noch
nicht niedlich, sondern erst dasjenige Kleine ist es, das in
seinen Theilen Zartheit und Sauberkeit der Ausgestaltung
zeigt. Wie niedlich hat die Natur, manche Schneckenge¬
häuse und Muschelschaalen gebildet! Wie sind die Blätter
und Blüthen vieler Pflanzen so überaus niedlich, weil sie bei

incorrect ſein und mit der Normalität, die in ihr ſich aus¬
drücken ſollte, mehr oder weniger in Widerſpruch ſtehen,
allein ſie braucht deshalb noch nicht von ſich zurückzuſchrecken.
Große Incorrectheiten können ſogar durch große mit ihnen
nach andern Seiten hin verbundene Schönheiten bis zur
Vergeſſenheit aufgewogen werden. Erſt dann wird das In¬
correcte widrig, wenn es die Totalität der Geſtalt zerſtückelt,
wenn es eine durchgängige Stümperhaftigkeit verräth, deren
Anmaaßung uns empört, falls ſie uns nicht lächerlich wird.
Das Gemeine iſt häßlich, weil es in ſeiner Kleinlichkeit,
Schwächlichkeit und Niedrigkeit die Unfreiheit darſtellt, die
ſich über ihre Schranken erheben könnte, ſtatt deſſen aber in
der Plattheit des Zufalls und der Willkür, in der Dürftig¬
keit der Ohnmacht, in der Niedrigkeit des Sinnlichen und
Rohen verharrt. Das Gemeine iſt unſchön, allein es iſt
deshalb noch nicht widrig und die Frivolität beſtrebt ſich
ſogar, uns durch ſinnlichen Zauber zu beſtricken, und uns
ſeine Verhöhnung des Heiligen durch formelle Liebenswür¬
digkeit recht eingänglich zu machen.

Das Widrige erzeugt ſich aus dem gefällig Schönen
als deſſen negative Entgegenſetzung. Als poſitiver Gegenſatz
des quantitativ Erhabenen iſt das Gefällige dasjenige Kleine,
das in ſeiner Totalität leicht überſichtlich, in ſeinen Theilen
zierlich ausgearbeitet iſt und das wir im Deutſchen niedlich
nennen. Das Kleine als ſolches, ein kleines Haus, ein
kleiner Baum, ein kleines Gedicht u. ſ. f. iſt deshalb noch
nicht niedlich, ſondern erſt dasjenige Kleine iſt es, das in
ſeinen Theilen Zartheit und Sauberkeit der Ausgeſtaltung
zeigt. Wie niedlich hat die Natur, manche Schneckenge¬
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[279/0301] incorrect ſein und mit der Normalität, die in ihr ſich aus¬ drücken ſollte, mehr oder weniger in Widerſpruch ſtehen, allein ſie braucht deshalb noch nicht von ſich zurückzuſchrecken. Große Incorrectheiten können ſogar durch große mit ihnen nach andern Seiten hin verbundene Schönheiten bis zur Vergeſſenheit aufgewogen werden. Erſt dann wird das In¬ correcte widrig, wenn es die Totalität der Geſtalt zerſtückelt, wenn es eine durchgängige Stümperhaftigkeit verräth, deren Anmaaßung uns empört, falls ſie uns nicht lächerlich wird. Das Gemeine iſt häßlich, weil es in ſeiner Kleinlichkeit, Schwächlichkeit und Niedrigkeit die Unfreiheit darſtellt, die ſich über ihre Schranken erheben könnte, ſtatt deſſen aber in der Plattheit des Zufalls und der Willkür, in der Dürftig¬ keit der Ohnmacht, in der Niedrigkeit des Sinnlichen und Rohen verharrt. Das Gemeine iſt unſchön, allein es iſt deshalb noch nicht widrig und die Frivolität beſtrebt ſich ſogar, uns durch ſinnlichen Zauber zu beſtricken, und uns ſeine Verhöhnung des Heiligen durch formelle Liebenswür¬ digkeit recht eingänglich zu machen. Das Widrige erzeugt ſich aus dem gefällig Schönen als deſſen negative Entgegenſetzung. Als poſitiver Gegenſatz des quantitativ Erhabenen iſt das Gefällige dasjenige Kleine, das in ſeiner Totalität leicht überſichtlich, in ſeinen Theilen zierlich ausgearbeitet iſt und das wir im Deutſchen niedlich nennen. Das Kleine als ſolches, ein kleines Haus, ein kleiner Baum, ein kleines Gedicht u. ſ. f. iſt deshalb noch nicht niedlich, ſondern erſt dasjenige Kleine iſt es, das in ſeinen Theilen Zartheit und Sauberkeit der Ausgeſtaltung zeigt. Wie niedlich hat die Natur, manche Schneckenge¬ häuſe und Muſchelſchaalen gebildet! Wie ſind die Blätter und Blüthen vieler Pflanzen ſo überaus niedlich, weil ſie bei

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/301>, abgerufen am 28.04.2024.