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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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doch nur den süßen Mund! Jst es nicht, als ob sie
Kathinka küssen wollte?" -- So schwärmten die
Kinder über das Bild -- und ging es mir etwa bes-
ser? Und wie nun auch Woldemar kam, der war
ganz außer sich. "O die allerliebsten himmlischen
Kinder! O Tante, Tante, sind das meine Schwe-
stern?" -- Wie Du meinen Wünschen so schön zu-
vorgeeilt, liebe Emma! Fast möcht' ich sagen, Du
dürftest dem Schicksal nicht mehr zürnen, daß es
Deine beiden ältesten Kinder so von Dir ge-
trennt -- und auch so lange wie es scheint. Wie
schönen Ersatz hat es Dir gegeben! Nun können
wir unsere Erziehungsberichte gegen einander
austauschen. Nicht wenig wird es mich interes-
siren, die Verschiedenheit in den beiden Kindern
zu bemerken. O sage mir alles, was Du unter-
scheidendes an diesen Kindern, in ihrer innern
und äußern Entwickelung wahrnimmst. Jda ist so
glücklich, daß sie die Schwesterchen nun kennt,
als ob sie sie wirklich gesehen hätte. Doch dies
war auch fast nothwendig.

Jn wenig Tagen werden uns Platov und
Woldemar verlassen. Sie haben eine so große

doch nur den ſüßen Mund! Jſt es nicht, als ob ſie
Kathinka küſſen wollte?‟ — So ſchwärmten die
Kinder über das Bild — und ging es mir etwa beſ-
ſer? Und wie nun auch Woldemar kam, der war
ganz außer ſich. „O die allerliebſten himmliſchen
Kinder! O Tante, Tante, ſind das meine Schwe-
ſtern?‟ — Wie Du meinen Wünſchen ſo ſchön zu-
vorgeeilt, liebe Emma! Faſt möcht’ ich ſagen, Du
dürfteſt dem Schickſal nicht mehr zürnen, daß es
Deine beiden älteſten Kinder ſo von Dir ge-
trennt — und auch ſo lange wie es ſcheint. Wie
ſchönen Erſatz hat es Dir gegeben! Nun können
wir unſere Erziehungsberichte gegen einander
austauſchen. Nicht wenig wird es mich intereſ-
ſiren, die Verſchiedenheit in den beiden Kindern
zu bemerken. O ſage mir alles, was Du unter-
ſcheidendes an dieſen Kindern, in ihrer innern
und äußern Entwickelung wahrnimmſt. Jda iſt ſo
glücklich, daß ſie die Schweſterchen nun kennt,
als ob ſie ſie wirklich geſehen hätte. Doch dies
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Jn wenig Tagen werden uns Platov und
Woldemar verlaſſen. Sie haben eine ſo große

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[291/0305] doch nur den ſüßen Mund! Jſt es nicht, als ob ſie Kathinka küſſen wollte?‟ — So ſchwärmten die Kinder über das Bild — und ging es mir etwa beſ- ſer? Und wie nun auch Woldemar kam, der war ganz außer ſich. „O die allerliebſten himmliſchen Kinder! O Tante, Tante, ſind das meine Schwe- ſtern?‟ — Wie Du meinen Wünſchen ſo ſchön zu- vorgeeilt, liebe Emma! Faſt möcht’ ich ſagen, Du dürfteſt dem Schickſal nicht mehr zürnen, daß es Deine beiden älteſten Kinder ſo von Dir ge- trennt — und auch ſo lange wie es ſcheint. Wie ſchönen Erſatz hat es Dir gegeben! Nun können wir unſere Erziehungsberichte gegen einander austauſchen. Nicht wenig wird es mich intereſ- ſiren, die Verſchiedenheit in den beiden Kindern zu bemerken. O ſage mir alles, was Du unter- ſcheidendes an dieſen Kindern, in ihrer innern und äußern Entwickelung wahrnimmſt. Jda iſt ſo glücklich, daß ſie die Schweſterchen nun kennt, als ob ſie ſie wirklich geſehen hätte. Doch dies war auch faſt nothwendig. Jn wenig Tagen werden uns Platov und Woldemar verlaſſen. Sie haben eine ſo große

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/305>, abgerufen am 29.04.2024.