Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei und 'fünfzigster Brief.

Platov und Woldemar, welchen ich unsern
Verlust nach Berlin hin berichtet, kürzten ihren
dortigen Aufenthalt ab, um uns gegen Ende des
April zu besuchen. Jhr Hierseyn hat wohlthätig
auf uns alle gewirkt. Der Pfarrer und Platov
haben sich unauflöslich an einander geschlossen.
Selbst in Betty, welche sichtbarlich verblich, regt
sich ein schwacher Funke von Kraft und Lebens-
freude. Noch sind sie hier; und wie wir sie dies-
mal entlassen wollen, ist mir unbegreiflich.
Könnte, wollte der Pfarrer seine Gemeine auf
ein paar Monate verlassen, um seine wankende
Gesundheit herzustellen: wir zögen alle mit ein-
ander nach der Schweiz, um dort die schöne Jahrs-
zeit zu verleben. Jch bliebe dann mit den Mäd-
chen in Genf, wenn wir die Gegenden des Lan-
des mit ihnen bereis't, worauf es uns am meisten
ankommt; und die Männer streiften in den unbe-
suchteren Theilen der Schweiz umher, bis wir
sämmtlich nach der Weinlese wieder heimzögen.
Aber ohne den Pfarrer können wir nicht, weil ich

(15)
Zwei und ’fünfzigſter Brief.

Platov und Woldemar, welchen ich unſern
Verluſt nach Berlin hin berichtet, kürzten ihren
dortigen Aufenthalt ab, um uns gegen Ende des
April zu beſuchen. Jhr Hierſeyn hat wohlthätig
auf uns alle gewirkt. Der Pfarrer und Platov
haben ſich unauflöslich an einander geſchloſſen.
Selbſt in Betty, welche ſichtbarlich verblich, regt
ſich ein ſchwacher Funke von Kraft und Lebens-
freude. Noch ſind ſie hier; und wie wir ſie dies-
mal entlaſſen wollen, iſt mir unbegreiflich.
Könnte, wollte der Pfarrer ſeine Gemeine auf
ein paar Monate verlaſſen, um ſeine wankende
Geſundheit herzuſtellen: wir zögen alle mit ein-
ander nach der Schweiz, um dort die ſchöne Jahrs-
zeit zu verleben. Jch bliebe dann mit den Mäd-
chen in Genf, wenn wir die Gegenden des Lan-
des mit ihnen bereiſ’t, worauf es uns am meiſten
ankommt; und die Männer ſtreiften in den unbe-
ſuchteren Theilen der Schweiz umher, bis wir
ſämmtlich nach der Weinleſe wieder heimzögen.
Aber ohne den Pfarrer können wir nicht, weil ich

(15)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0121" n="113"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Zwei und &#x2019;fünfzig&#x017F;ter Brief</hi>.</head><lb/>
          <p>Platov und Woldemar, welchen ich un&#x017F;ern<lb/>
Verlu&#x017F;t nach Berlin hin berichtet, kürzten ihren<lb/>
dortigen Aufenthalt ab, um uns gegen Ende des<lb/>
April zu be&#x017F;uchen. Jhr Hier&#x017F;eyn hat wohlthätig<lb/>
auf uns alle gewirkt. Der Pfarrer und Platov<lb/>
haben &#x017F;ich unauflöslich an einander ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Selb&#x017F;t in Betty, welche &#x017F;ichtbarlich verblich, regt<lb/>
&#x017F;ich ein &#x017F;chwacher Funke von Kraft und Lebens-<lb/>
freude. Noch &#x017F;ind &#x017F;ie hier; und wie wir &#x017F;ie dies-<lb/>
mal entla&#x017F;&#x017F;en wollen, i&#x017F;t mir unbegreiflich.<lb/>
Könnte, wollte der Pfarrer &#x017F;eine Gemeine auf<lb/>
ein paar Monate verla&#x017F;&#x017F;en, um &#x017F;eine wankende<lb/>
Ge&#x017F;undheit herzu&#x017F;tellen: wir zögen alle mit ein-<lb/>
ander nach der Schweiz, um dort die &#x017F;chöne Jahrs-<lb/>
zeit zu verleben. Jch bliebe dann mit den Mäd-<lb/>
chen in Genf, wenn wir die Gegenden des Lan-<lb/>
des mit ihnen berei&#x017F;&#x2019;t, worauf es uns am mei&#x017F;ten<lb/>
ankommt; und die Männer &#x017F;treiften in den unbe-<lb/>
&#x017F;uchteren Theilen der Schweiz umher, bis wir<lb/>
&#x017F;ämmtlich nach der Weinle&#x017F;e wieder heimzögen.<lb/>
Aber ohne den Pfarrer können wir nicht, weil ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(15)</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0121] Zwei und ’fünfzigſter Brief. Platov und Woldemar, welchen ich unſern Verluſt nach Berlin hin berichtet, kürzten ihren dortigen Aufenthalt ab, um uns gegen Ende des April zu beſuchen. Jhr Hierſeyn hat wohlthätig auf uns alle gewirkt. Der Pfarrer und Platov haben ſich unauflöslich an einander geſchloſſen. Selbſt in Betty, welche ſichtbarlich verblich, regt ſich ein ſchwacher Funke von Kraft und Lebens- freude. Noch ſind ſie hier; und wie wir ſie dies- mal entlaſſen wollen, iſt mir unbegreiflich. Könnte, wollte der Pfarrer ſeine Gemeine auf ein paar Monate verlaſſen, um ſeine wankende Geſundheit herzuſtellen: wir zögen alle mit ein- ander nach der Schweiz, um dort die ſchöne Jahrs- zeit zu verleben. Jch bliebe dann mit den Mäd- chen in Genf, wenn wir die Gegenden des Lan- des mit ihnen bereiſ’t, worauf es uns am meiſten ankommt; und die Männer ſtreiften in den unbe- ſuchteren Theilen der Schweiz umher, bis wir ſämmtlich nach der Weinleſe wieder heimzögen. Aber ohne den Pfarrer können wir nicht, weil ich (15)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/121
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/121>, abgerufen am 29.04.2024.