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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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ten die sonst so gute Lisel doch noch erst selbst erzie-
hen, wenn sie uns hier gar nichts verderben
sollte. Wir bleiben also selbst während der köstli-
chen Frühlingstage mehr im Zimmer, und sagen
uns dabei: wie wär' es, wenn wir gar keinen Gar-
ten hätten! -- Jn einigen Tagen wird das schon
anders seyn, Seraphine wird wieder hinaus ver-
langen; und im andern Falle wechseln wir ab und
gehen parthieweise spazieren. Jst Seraphine wie-
der frisch, dann soll sie sich ganz an die Lebensweise
der Gesellschaft gewöhnen, und viel mit uns im
Freien seyn. Hier hast Du nun, liebste Emma,
sogleich diese Frage beantwortet, wie ich meine
Mädchen in der Erziehungskunst unterrichte. --
Erziehungskunst -- Erziehungswissenschaft -- wie
mir die Worte so seltsam hohl klingen! Jch weiß
wohl, daß man solcher Worte oft nicht entrathen
kann. Aber wenn ein noch so glänzender Preis
darauf stünde, wenn mir ein Kranz aus Sternen
geflochten und mein Name hineingeschrieben wer-
den sollte, ich wüßte die Sache in kein System
zu bringen, ihr keine wissenschaftliche Form zu
geben, also auch nicht in bestimmten Stunden



ten die ſonſt ſo gute Liſel doch noch erſt ſelbſt erzie-
hen, wenn ſie uns hier gar nichts verderben
ſollte. Wir bleiben alſo ſelbſt während der köſtli-
chen Frühlingstage mehr im Zimmer, und ſagen
uns dabei: wie wär’ es, wenn wir gar keinen Gar-
ten hätten! — Jn einigen Tagen wird das ſchon
anders ſeyn, Seraphine wird wieder hinaus ver-
langen; und im andern Falle wechſeln wir ab und
gehen parthieweiſe ſpazieren. Jſt Seraphine wie-
der friſch, dann ſoll ſie ſich ganz an die Lebensweiſe
der Geſellſchaft gewöhnen, und viel mit uns im
Freien ſeyn. Hier haſt Du nun, liebſte Emma,
ſogleich dieſe Frage beantwortet, wie ich meine
Mädchen in der Erziehungskunſt unterrichte. —
Erziehungskunſt — Erziehungswiſſenſchaft — wie
mir die Worte ſo ſeltſam hohl klingen! Jch weiß
wohl, daß man ſolcher Worte oft nicht entrathen
kann. Aber wenn ein noch ſo glänzender Preis
darauf ſtünde, wenn mir ein Kranz aus Sternen
geflochten und mein Name hineingeſchrieben wer-
den ſollte, ich wüßte die Sache in kein Syſtem
zu bringen, ihr keine wiſſenſchaftliche Form zu
geben, alſo auch nicht in beſtimmten Stunden

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[231/0239] ten die ſonſt ſo gute Liſel doch noch erſt ſelbſt erzie- hen, wenn ſie uns hier gar nichts verderben ſollte. Wir bleiben alſo ſelbſt während der köſtli- chen Frühlingstage mehr im Zimmer, und ſagen uns dabei: wie wär’ es, wenn wir gar keinen Gar- ten hätten! — Jn einigen Tagen wird das ſchon anders ſeyn, Seraphine wird wieder hinaus ver- langen; und im andern Falle wechſeln wir ab und gehen parthieweiſe ſpazieren. Jſt Seraphine wie- der friſch, dann ſoll ſie ſich ganz an die Lebensweiſe der Geſellſchaft gewöhnen, und viel mit uns im Freien ſeyn. Hier haſt Du nun, liebſte Emma, ſogleich dieſe Frage beantwortet, wie ich meine Mädchen in der Erziehungskunſt unterrichte. — Erziehungskunſt — Erziehungswiſſenſchaft — wie mir die Worte ſo ſeltſam hohl klingen! Jch weiß wohl, daß man ſolcher Worte oft nicht entrathen kann. Aber wenn ein noch ſo glänzender Preis darauf ſtünde, wenn mir ein Kranz aus Sternen geflochten und mein Name hineingeſchrieben wer- den ſollte, ich wüßte die Sache in kein Syſtem zu bringen, ihr keine wiſſenſchaftliche Form zu geben, alſo auch nicht in beſtimmten Stunden

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/239>, abgerufen am 30.04.2024.