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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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darin zu unterrichten. Jch habe schon viel zu
thun, nur zu glauben, daß andere das wirklich
können. Dies mag freilich wohl von dem ganz
unsystematischen Geschlechts-Charakter herrühren.
So oft ich es mir auch vorstellte, wie es angefan-
gen seyn müßte, wenn ich einmal etwas über Er-
ziehung schreiben wollte: so lief alles was ich dar-
über denken konnte, immer auf eine Erziehungs-
geschichte, auf eine Darstellung des lebendigen
durch Handlung verkörperlichten pädagogischen Gei-
stes und Sinnes hinaus. Jetzt werde ich wohl
außer der Geschichte unserer kleinen Kolonie, die
ich Dir, geliebte Emma, in meinen Briefen vorle-
ge, nicht viel weiteres schreiben, so oft man mich
auch von mancher Seite her darum angehet, und
diese Briefe sind doch allzu individuell, um publi-
zirt zu werden. Eins möchte ich noch wohl, und
bringe es vielleicht zur Ausführung. Nemlich
das: ich möchte mich wohl ganz in die Lage einer
armen oder doch nicht gar begüterten Familie hin-
einversetzen, und da heraus ein Erziehungsgemäl-
de zeichnen und ausmalen, so daß es hingestellt
würde und die vorübergehenden Stiefkinder des



darin zu unterrichten. Jch habe ſchon viel zu
thun, nur zu glauben, daß andere das wirklich
können. Dies mag freilich wohl von dem ganz
unſyſtematiſchen Geſchlechts-Charakter herrühren.
So oft ich es mir auch vorſtellte, wie es angefan-
gen ſeyn müßte, wenn ich einmal etwas über Er-
ziehung ſchreiben wollte: ſo lief alles was ich dar-
über denken konnte, immer auf eine Erziehungs-
geſchichte, auf eine Darſtellung des lebendigen
durch Handlung verkörperlichten pädagogiſchen Gei-
ſtes und Sinnes hinaus. Jetzt werde ich wohl
außer der Geſchichte unſerer kleinen Kolonie, die
ich Dir, geliebte Emma, in meinen Briefen vorle-
ge, nicht viel weiteres ſchreiben, ſo oft man mich
auch von mancher Seite her darum angehet, und
dieſe Briefe ſind doch allzu individuell, um publi-
zirt zu werden. Eins möchte ich noch wohl, und
bringe es vielleicht zur Ausführung. Nemlich
das: ich möchte mich wohl ganz in die Lage einer
armen oder doch nicht gar begüterten Familie hin-
einverſetzen, und da heraus ein Erziehungsgemäl-
de zeichnen und ausmalen, ſo daß es hingeſtellt
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[232/0240] darin zu unterrichten. Jch habe ſchon viel zu thun, nur zu glauben, daß andere das wirklich können. Dies mag freilich wohl von dem ganz unſyſtematiſchen Geſchlechts-Charakter herrühren. So oft ich es mir auch vorſtellte, wie es angefan- gen ſeyn müßte, wenn ich einmal etwas über Er- ziehung ſchreiben wollte: ſo lief alles was ich dar- über denken konnte, immer auf eine Erziehungs- geſchichte, auf eine Darſtellung des lebendigen durch Handlung verkörperlichten pädagogiſchen Gei- ſtes und Sinnes hinaus. Jetzt werde ich wohl außer der Geſchichte unſerer kleinen Kolonie, die ich Dir, geliebte Emma, in meinen Briefen vorle- ge, nicht viel weiteres ſchreiben, ſo oft man mich auch von mancher Seite her darum angehet, und dieſe Briefe ſind doch allzu individuell, um publi- zirt zu werden. Eins möchte ich noch wohl, und bringe es vielleicht zur Ausführung. Nemlich das: ich möchte mich wohl ganz in die Lage einer armen oder doch nicht gar begüterten Familie hin- einverſetzen, und da heraus ein Erziehungsgemäl- de zeichnen und ausmalen, ſo daß es hingeſtellt würde und die vorübergehenden Stiefkinder des

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/240>, abgerufen am 30.04.2024.