Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Quellen der Unreinigkeit.
4) Weil man sich dadurch die Liebe zur Unwahrheit
angewöhnet.
Romanen müssen ein Gewebe von Lü-
gen seyn, so sie die Ehre einer geschickten Liebes- und
Heldengeschichte behaupten sollen. Aber was kann doch
ein vernunftliebendes Gemüth für Vergnügen in Un-
wahrheiten finden? Einen edlen Geist rührt nichts so
sehr als die Wahrheit: Dis ist die eigentliche und rechte
Nahrung des Verstandes. Durch erdichtete Exempel
von ritterlichen und abentheuerlichen Tugenden wird
ein ehrliches Gemüthe, das Wahrheit liebt, kaum be-
wegt, geschweige zur Tugend angeleitet. Dagegen ists
unläugbar gewiß, daß insgemein so viel junger Leute
ins Romanen lesen hinein verwickelt worden sind: so
viel Lügner und Müßiggänger sinds auch worden: nur
daß bey den meisten noch abentheuerliche Spitzbübe-
reyen etc. dazu geschlagen.
Weil über dieses in den Romanen oft wahr-
hafte Geschichte in unzehlich viele erdichtete Um-
stände eingekleidet und also verstümmelt und verän-
dert werden: so wird ein Mensch, der in der Erkentniß
der Historie nicht wohl bewandert ist, und nicht Ver-
standes und Erfahrung genug hat, die Fiction von dem
wahren zu unterscheiden, oft hinter das Licht geführt
und confundirt; daß er nicht weiß, was wircklich ge-
schehen, und was dazu fingiret ist. Dergestalt verwir-
ret
er denn oft, theils in seinem Gemüth, theils im
Discurs das wahre mit dem falschen, und stellet sich
auch die facta selbst nicht in dem ächten und nackten
Bilde vor, daß er daraus die nöthigen Regeln der
Klugheit nehmen könte.
5) Weil der Verlust der Zeit, die man auf das lesen sol-
cher Bücher wendet, unersetzlich und unverantwortlich
ist. Man kann sie nicht ohne die innigste Aufmerck-
samkeit lesen; und muß sich allzeit grosse Gewalt an-
thun, wenn man sie einmal weglegen soll. Aber wie
groß ist der Vortheil? Was hats denn für Nutzen, zu
wissen, daß ein Mensch, der nie gewesen ist, die gantze
Welt durchloffen, viele erdichtete Armeen commandiret,
viel Städte erobert, Königreiche bezwungen, und hun-
dert andere seltsame Dinge ausgerichtet, deren doch nie
keines in der Welt geschehen ist? Jst dis nicht eine sub-
tilisirte und desto gefährlichere Art der Wohllust, die nur
in der Seele begangen wird, mit solchen Chimären sein
Gemüth recht vollzuträncken, damit es sich ja auf nichts
gescheutes, reales, und brauchbäres mehr recht zu besin-
nen wisse? Hat es viele berühmte Leute gegeben, die
noch auf ihrem Todbette öffentlich beklaget haben, daß
sie auf reelle und nothwendige Wissenschaften nur allzu-
viel
III. Th. Betr. der Unreinigk. O o
Quellen der Unreinigkeit.
4) Weil man ſich dadurch die Liebe zur Unwahrheit
angewoͤhnet.
Romanen muͤſſen ein Gewebe von Luͤ-
gen ſeyn, ſo ſie die Ehre einer geſchickten Liebes- und
Heldengeſchichte behaupten ſollen. Aber was kann doch
ein vernunftliebendes Gemuͤth fuͤr Vergnuͤgen in Un-
wahrheiten finden? Einen edlen Geiſt ruͤhrt nichts ſo
ſehr als die Wahrheit: Dis iſt die eigentliche und rechte
Nahrung des Verſtandes. Durch erdichtete Exempel
von ritterlichen und abentheuerlichen Tugenden wird
ein ehrliches Gemuͤthe, das Wahrheit liebt, kaum be-
wegt, geſchweige zur Tugend angeleitet. Dagegen iſts
unlaͤugbar gewiß, daß insgemein ſo viel junger Leute
ins Romanen leſen hinein verwickelt worden ſind: ſo
viel Luͤgner und Muͤßiggaͤnger ſinds auch worden: nur
daß bey den meiſten noch abentheuerliche Spitzbuͤbe-
reyen ꝛc. dazu geſchlagen.
Weil uͤber dieſes in den Romanen oft wahr-
hafte Geſchichte in unzehlich viele erdichtete Um-
ſtaͤnde eingekleidet und alſo verſtuͤmmelt und veraͤn-
dert werden: ſo wird ein Menſch, der in der Erkentniß
der Hiſtorie nicht wohl bewandert iſt, und nicht Ver-
ſtandes und Erfahrung genug hat, die Fiction von dem
wahren zu unterſcheiden, oft hinter das Licht gefuͤhrt
und confundirt; daß er nicht weiß, was wircklich ge-
ſchehen, und was dazu fingiret iſt. Dergeſtalt verwir-
ret
er denn oft, theils in ſeinem Gemuͤth, theils im
Diſcurs das wahre mit dem falſchen, und ſtellet ſich
auch die facta ſelbſt nicht in dem aͤchten und nackten
Bilde vor, daß er daraus die noͤthigen Regeln der
Klugheit nehmen koͤnte.
5) Weil der Verluſt der Zeit, die man auf das leſen ſol-
cher Buͤcher wendet, unerſetzlich und unverantwortlich
iſt. Man kann ſie nicht ohne die innigſte Aufmerck-
ſamkeit leſen; und muß ſich allzeit groſſe Gewalt an-
thun, wenn man ſie einmal weglegen ſoll. Aber wie
groß iſt der Vortheil? Was hats denn fuͤr Nutzen, zu
wiſſen, daß ein Menſch, der nie geweſen iſt, die gantze
Welt durchloffen, viele erdichtete Armeen commandiret,
viel Staͤdte erobert, Koͤnigreiche bezwungen, und hun-
dert andere ſeltſame Dinge ausgerichtet, deren doch nie
keines in der Welt geſchehen iſt? Jſt dis nicht eine ſub-
tiliſirte und deſto gefaͤhrlichere Art der Wohlluſt, die nur
in der Seele begangen wird, mit ſolchen Chimaͤren ſein
Gemuͤth recht vollzutraͤncken, damit es ſich ja auf nichts
geſcheutes, reales, und brauchbaͤres mehr recht zu beſin-
nen wiſſe? Hat es viele beruͤhmte Leute gegeben, die
noch auf ihrem Todbette oͤffentlich beklaget haben, daß
ſie auf reelle und nothwendige Wiſſenſchaften nur allzu-
viel
III. Th. Betr. der Unreinigk. O o
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0597" n="577"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Quellen der Unreinigkeit.</hi> </fw><lb/>
            <list>
              <item>4) Weil man &#x017F;ich dadurch <hi rendition="#fr">die Liebe zur Unwahrheit<lb/>
angewo&#x0364;hnet.</hi> Romanen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ein Gewebe von Lu&#x0364;-<lb/>
gen &#x017F;eyn, &#x017F;o &#x017F;ie die Ehre einer ge&#x017F;chickten Liebes- und<lb/>
Heldenge&#x017F;chichte behaupten &#x017F;ollen. Aber was kann doch<lb/>
ein vernunftliebendes Gemu&#x0364;th fu&#x0364;r Vergnu&#x0364;gen in Un-<lb/>
wahrheiten finden? Einen edlen Gei&#x017F;t ru&#x0364;hrt nichts &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr als die Wahrheit: Dis i&#x017F;t die eigentliche und rechte<lb/>
Nahrung des Ver&#x017F;tandes. Durch erdichtete Exempel<lb/>
von ritterlichen und abentheuerlichen Tugenden wird<lb/>
ein ehrliches Gemu&#x0364;the, das Wahrheit liebt, kaum be-<lb/>
wegt, ge&#x017F;chweige zur Tugend angeleitet. Dagegen i&#x017F;ts<lb/>
unla&#x0364;ugbar gewiß, daß insgemein &#x017F;o viel junger Leute<lb/>
ins Romanen le&#x017F;en hinein verwickelt worden &#x017F;ind: &#x017F;o<lb/>
viel Lu&#x0364;gner und Mu&#x0364;ßigga&#x0364;nger &#x017F;inds auch worden: nur<lb/>
daß bey den mei&#x017F;ten noch abentheuerliche Spitzbu&#x0364;be-<lb/>
reyen &#xA75B;c. dazu ge&#x017F;chlagen.</item><lb/>
              <item>Weil u&#x0364;ber die&#x017F;es in den Romanen oft wahr-<lb/>
hafte Ge&#x017F;chichte in unzehlich viele erdichtete Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde eingekleidet und al&#x017F;o ver&#x017F;tu&#x0364;mmelt und vera&#x0364;n-<lb/>
dert werden: &#x017F;o wird ein Men&#x017F;ch, der in der Erkentniß<lb/>
der Hi&#x017F;torie nicht wohl bewandert i&#x017F;t, und nicht Ver-<lb/>
&#x017F;tandes und Erfahrung genug hat, die Fiction von dem<lb/>
wahren zu unter&#x017F;cheiden, oft hinter das Licht gefu&#x0364;hrt<lb/>
und confundirt; daß er nicht weiß, was wircklich ge-<lb/>
&#x017F;chehen, und was dazu fingiret i&#x017F;t. Derge&#x017F;talt <hi rendition="#fr">verwir-<lb/>
ret</hi> er denn oft, theils in &#x017F;einem Gemu&#x0364;th, theils im<lb/>
Di&#x017F;curs <hi rendition="#fr">das wahre mit dem fal&#x017F;chen,</hi> und &#x017F;tellet &#x017F;ich<lb/>
auch die <hi rendition="#aq">facta</hi> &#x017F;elb&#x017F;t nicht in dem a&#x0364;chten und nackten<lb/>
Bilde vor, daß er daraus die no&#x0364;thigen Regeln der<lb/>
Klugheit nehmen ko&#x0364;nte.</item><lb/>
              <item>5) Weil der <hi rendition="#fr">Verlu&#x017F;t der Zeit,</hi> die man auf das le&#x017F;en &#x017F;ol-<lb/>
cher Bu&#x0364;cher wendet, uner&#x017F;etzlich und unverantwortlich<lb/>
i&#x017F;t. Man kann &#x017F;ie nicht ohne die innig&#x017F;te Aufmerck-<lb/>
&#x017F;amkeit le&#x017F;en; und muß &#x017F;ich allzeit gro&#x017F;&#x017F;e Gewalt an-<lb/>
thun, wenn man &#x017F;ie einmal weglegen &#x017F;oll. Aber wie<lb/>
groß i&#x017F;t der Vortheil? Was hats denn fu&#x0364;r Nutzen, zu<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, daß ein Men&#x017F;ch, der nie gewe&#x017F;en i&#x017F;t, die gantze<lb/>
Welt durchloffen, viele erdichtete Armeen commandiret,<lb/>
viel Sta&#x0364;dte erobert, Ko&#x0364;nigreiche bezwungen, und hun-<lb/>
dert andere &#x017F;elt&#x017F;ame Dinge ausgerichtet, deren doch nie<lb/>
keines in der Welt ge&#x017F;chehen i&#x017F;t? J&#x017F;t dis nicht eine &#x017F;ub-<lb/>
tili&#x017F;irte und de&#x017F;to gefa&#x0364;hrlichere Art der Wohllu&#x017F;t, die nur<lb/>
in der Seele begangen wird, mit &#x017F;olchen Chima&#x0364;ren &#x017F;ein<lb/>
Gemu&#x0364;th recht vollzutra&#x0364;ncken, damit es &#x017F;ich ja auf nichts<lb/>
ge&#x017F;cheutes, reales, und brauchba&#x0364;res mehr recht zu be&#x017F;in-<lb/>
nen wi&#x017F;&#x017F;e? Hat es viele beru&#x0364;hmte Leute gegeben, die<lb/>
noch auf ihrem Todbette o&#x0364;ffentlich beklaget haben, daß<lb/>
&#x017F;ie auf reelle und nothwendige Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften nur allzu-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III.</hi> Th. <hi rendition="#fr">Betr. der Unreinigk.</hi> O o</fw><fw place="bottom" type="catch">viel</fw><lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[577/0597] Quellen der Unreinigkeit. 4) Weil man ſich dadurch die Liebe zur Unwahrheit angewoͤhnet. Romanen muͤſſen ein Gewebe von Luͤ- gen ſeyn, ſo ſie die Ehre einer geſchickten Liebes- und Heldengeſchichte behaupten ſollen. Aber was kann doch ein vernunftliebendes Gemuͤth fuͤr Vergnuͤgen in Un- wahrheiten finden? Einen edlen Geiſt ruͤhrt nichts ſo ſehr als die Wahrheit: Dis iſt die eigentliche und rechte Nahrung des Verſtandes. Durch erdichtete Exempel von ritterlichen und abentheuerlichen Tugenden wird ein ehrliches Gemuͤthe, das Wahrheit liebt, kaum be- wegt, geſchweige zur Tugend angeleitet. Dagegen iſts unlaͤugbar gewiß, daß insgemein ſo viel junger Leute ins Romanen leſen hinein verwickelt worden ſind: ſo viel Luͤgner und Muͤßiggaͤnger ſinds auch worden: nur daß bey den meiſten noch abentheuerliche Spitzbuͤbe- reyen ꝛc. dazu geſchlagen. Weil uͤber dieſes in den Romanen oft wahr- hafte Geſchichte in unzehlich viele erdichtete Um- ſtaͤnde eingekleidet und alſo verſtuͤmmelt und veraͤn- dert werden: ſo wird ein Menſch, der in der Erkentniß der Hiſtorie nicht wohl bewandert iſt, und nicht Ver- ſtandes und Erfahrung genug hat, die Fiction von dem wahren zu unterſcheiden, oft hinter das Licht gefuͤhrt und confundirt; daß er nicht weiß, was wircklich ge- ſchehen, und was dazu fingiret iſt. Dergeſtalt verwir- ret er denn oft, theils in ſeinem Gemuͤth, theils im Diſcurs das wahre mit dem falſchen, und ſtellet ſich auch die facta ſelbſt nicht in dem aͤchten und nackten Bilde vor, daß er daraus die noͤthigen Regeln der Klugheit nehmen koͤnte. 5) Weil der Verluſt der Zeit, die man auf das leſen ſol- cher Buͤcher wendet, unerſetzlich und unverantwortlich iſt. Man kann ſie nicht ohne die innigſte Aufmerck- ſamkeit leſen; und muß ſich allzeit groſſe Gewalt an- thun, wenn man ſie einmal weglegen ſoll. Aber wie groß iſt der Vortheil? Was hats denn fuͤr Nutzen, zu wiſſen, daß ein Menſch, der nie geweſen iſt, die gantze Welt durchloffen, viele erdichtete Armeen commandiret, viel Staͤdte erobert, Koͤnigreiche bezwungen, und hun- dert andere ſeltſame Dinge ausgerichtet, deren doch nie keines in der Welt geſchehen iſt? Jſt dis nicht eine ſub- tiliſirte und deſto gefaͤhrlichere Art der Wohlluſt, die nur in der Seele begangen wird, mit ſolchen Chimaͤren ſein Gemuͤth recht vollzutraͤncken, damit es ſich ja auf nichts geſcheutes, reales, und brauchbaͤres mehr recht zu beſin- nen wiſſe? Hat es viele beruͤhmte Leute gegeben, die noch auf ihrem Todbette oͤffentlich beklaget haben, daß ſie auf reelle und nothwendige Wiſſenſchaften nur allzu- viel III. Th. Betr. der Unreinigk. O o

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740/597
Zitationshilfe: Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740/597>, abgerufen am 13.05.2024.