Die einzelnen Fälle der Infamie, wie sie in unseren Rechtsquellen aufgestellt werden, lassen sich auf fünf Klassen zurückführen.
I. Verurtheilung wegen eines Criminalverbrechens.
Dieser Fall wurde erst nach und nach zu einer allge- meinen Regel ausgebildet. Das Edict selbst knüpfte die Infamie nur allein an die in einem Criminalprozeß began- gene calumnia oder praevaricatio, und dieser Fall steht auch in der Tafel von Heraklea (lin. 120. 122). -- Ein Senatsschluß verordnete sie als Folge eines einzelnen Ver- brechens, der vis privata(a). -- Dann ließ man sie auf jede Kapitalstrafe folgen; das war nicht wichtig, denn so lange diese Strafe (also wenigstens der Verlust der Civität) wirkte, war die Infamie ohne Bedeutung; sie wurde also erst fühlbar, wenn der Verurtheilte Erlaß der Strafe er- halten hatte und nicht zugleich Erlaß der Infamie, welcher in diesem Fall überhaupt nicht ertheilt zu werden pflegte (b). -- Endlich aber wurde die allgemeine Regel aufgestellt, daß jede Verurtheilung in einem publicum judicium infa- mire (c). Damit war also ausgeschlossen die Verurtheilung
(a)L. 1 pr. ad L. Juliam de vi priv. (48. 7.).
(b)L. 1 § 6. 9 de postulando (3. 1.). Marezoll S. 127.
(c)L. 7 de publ. jud. (48. 1.). L. 56 pro socio (17. 2.). Coll. LL. Mos. Tit. 4 § 3 vergl. mit § 12. In der tab. Heracl. lin.
§. 77. Infamie. Einzelne Fälle.
§. 77. Einzelne Fälle der Infamie.
Die einzelnen Fälle der Infamie, wie ſie in unſeren Rechtsquellen aufgeſtellt werden, laſſen ſich auf fünf Klaſſen zurückführen.
I. Verurtheilung wegen eines Criminalverbrechens.
Dieſer Fall wurde erſt nach und nach zu einer allge- meinen Regel ausgebildet. Das Edict ſelbſt knüpfte die Infamie nur allein an die in einem Criminalprozeß began- gene calumnia oder praevaricatio, und dieſer Fall ſteht auch in der Tafel von Heraklea (lin. 120. 122). — Ein Senatsſchluß verordnete ſie als Folge eines einzelnen Ver- brechens, der vis privata(a). — Dann ließ man ſie auf jede Kapitalſtrafe folgen; das war nicht wichtig, denn ſo lange dieſe Strafe (alſo wenigſtens der Verluſt der Civität) wirkte, war die Infamie ohne Bedeutung; ſie wurde alſo erſt fühlbar, wenn der Verurtheilte Erlaß der Strafe er- halten hatte und nicht zugleich Erlaß der Infamie, welcher in dieſem Fall überhaupt nicht ertheilt zu werden pflegte (b). — Endlich aber wurde die allgemeine Regel aufgeſtellt, daß jede Verurtheilung in einem publicum judicium infa- mire (c). Damit war alſo ausgeſchloſſen die Verurtheilung
(a)L. 1 pr. ad L. Juliam de vi priv. (48. 7.).
(b)L. 1 § 6. 9 de postulando (3. 1.). Marezoll S. 127.
(c)L. 7 de publ. jud. (48. 1.). L. 56 pro socio (17. 2.). Coll. LL. Mos. Tit. 4 § 3 vergl. mit § 12. In der tab. Heracl. lin.
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§. 77. Infamie. Einzelne Fälle.
§. 77.
Einzelne Fälle der Infamie.
Die einzelnen Fälle der Infamie, wie ſie in unſeren
Rechtsquellen aufgeſtellt werden, laſſen ſich auf fünf Klaſſen
zurückführen.
I. Verurtheilung wegen eines Criminalverbrechens.
Dieſer Fall wurde erſt nach und nach zu einer allge-
meinen Regel ausgebildet. Das Edict ſelbſt knüpfte die
Infamie nur allein an die in einem Criminalprozeß began-
gene calumnia oder praevaricatio, und dieſer Fall ſteht
auch in der Tafel von Heraklea (lin. 120. 122). — Ein
Senatsſchluß verordnete ſie als Folge eines einzelnen Ver-
brechens, der vis privata (a). — Dann ließ man ſie auf
jede Kapitalſtrafe folgen; das war nicht wichtig, denn ſo
lange dieſe Strafe (alſo wenigſtens der Verluſt der Civität)
wirkte, war die Infamie ohne Bedeutung; ſie wurde alſo
erſt fühlbar, wenn der Verurtheilte Erlaß der Strafe er-
halten hatte und nicht zugleich Erlaß der Infamie, welcher
in dieſem Fall überhaupt nicht ertheilt zu werden pflegte (b).
— Endlich aber wurde die allgemeine Regel aufgeſtellt,
daß jede Verurtheilung in einem publicum judicium infa-
mire (c). Damit war alſo ausgeſchloſſen die Verurtheilung
(a) L. 1 pr. ad L. Juliam de
vi priv. (48. 7.).
(b) L. 1 § 6. 9 de postulando
(3. 1.). Marezoll S. 127.
(c) L. 7 de publ. jud. (48. 1.).
L. 56 pro socio (17. 2.). Coll.
LL. Mos. Tit. 4 § 3 vergl. mit
§ 12. In der tab. Heracl. lin.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/187>, abgerufen am 29.04.2024.
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