Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

verdeckten ihr die gewohnten stolzen Formen des heimathlichen Felsens:
da schaute sie etliche male zurück. Noch einmal luegte die Kuppe
des hohen Twiel mit Thurm und Mauer und Zinnen zu ihr herüber,
von blauem Duft umzogen, dann schwand sie. Ein unbekanntes Thal
that sich auf, weite schwarze Tannwälder zogen sich drüber hin, niedere
Hütten mit tief herabhangenden Strohdächern lagen versteckt im Waldes-
dunkel -- unverzagt ging Hadumoth weiter und winkte den hegauer
Bergen den letzten Gruß zu.

Wie die Sonne jenseits der Wälder zur Ruhe gegangen war,
hielt sie eine Weile: Jetzt läuten sie zu Hause den Abendsegen, sprach
sie, ich will beten. Und sie kniete in der Bergeinsamkeit und betete,
erst für Audifax, dann für die Herzogin, dann für sich -- und Alles
war still ringsum. Sie hörte nur ihr eigen pochend Herz.

Wie wird's meinen Gänsen ergehen? dachte sie beim Aufstehen;
jetzt ist die Stunde sie einzutreiben. Dann trat wieder Audifax vor
ihre Seele, an dessen Seite sie so oft von der Weide zu Berg gefah-
ren, und sie ging schneller.

In den Maierhöfen im Thal rührte sich Niemand. Nur vor ei-
ner Strohdachhütte saß ein altes Weib. Du sollst mich heut' Nacht
bei dir behalten, Großmutter, sprach Hadumoth zutraulich. Die gab
ihr keine Antwort, doch ein Zeichen daß sie bleiben könne. Sie war
taub, und alleine zurückgeblieben, die Männer fort in's höhere Gebirg,
der Hunnen wegen.

Aber vor Tagesgrauen war Hadumoth wieder unterweges. Und
sie ging durch lange, lange Wälder, drin wollte es kein Ende nehmen
mit Tannen und war das erste lautlose Weben des Frühlings im
Walde, die ersten Blumen streckten ihre Häupter aus dem Moos her-
für, die ersten Käfer flogen leise summend drüber, und ein Harzgeruch
kräftig und anmuthend zog wehend herum als wär' er ein Weihrauch,
den die Tannen der Sonne hinaufschickten zum Dank für Alles, was
sie zu ihren Füßen luftig hervorgetrieben.

Der Hirtin gefiel's nicht. Hier ist's zu schön, sprach sie, hier kön-
nen die Hunnen nicht sein.

Sie lenkte ihren Schritt vom Gebirg abwärts und kam auf einen
Platz da war der Wald licht, und weite Umschau. Tief unten in
der Ferne floß der Rhein gekrümmt gleich einer Schlange, eingeklemmt

verdeckten ihr die gewohnten ſtolzen Formen des heimathlichen Felſens:
da ſchaute ſie etliche male zurück. Noch einmal luegte die Kuppe
des hohen Twiel mit Thurm und Mauer und Zinnen zu ihr herüber,
von blauem Duft umzogen, dann ſchwand ſie. Ein unbekanntes Thal
that ſich auf, weite ſchwarze Tannwälder zogen ſich drüber hin, niedere
Hütten mit tief herabhangenden Strohdächern lagen verſteckt im Waldes-
dunkel — unverzagt ging Hadumoth weiter und winkte den hegauer
Bergen den letzten Gruß zu.

Wie die Sonne jenſeits der Wälder zur Ruhe gegangen war,
hielt ſie eine Weile: Jetzt läuten ſie zu Hauſe den Abendſegen, ſprach
ſie, ich will beten. Und ſie kniete in der Bergeinſamkeit und betete,
erſt für Audifax, dann für die Herzogin, dann für ſich — und Alles
war ſtill ringsum. Sie hörte nur ihr eigen pochend Herz.

Wie wird's meinen Gänſen ergehen? dachte ſie beim Aufſtehen;
jetzt iſt die Stunde ſie einzutreiben. Dann trat wieder Audifax vor
ihre Seele, an deſſen Seite ſie ſo oft von der Weide zu Berg gefah-
ren, und ſie ging ſchneller.

In den Maierhöfen im Thal rührte ſich Niemand. Nur vor ei-
ner Strohdachhütte ſaß ein altes Weib. Du ſollſt mich heut' Nacht
bei dir behalten, Großmutter, ſprach Hadumoth zutraulich. Die gab
ihr keine Antwort, doch ein Zeichen daß ſie bleiben könne. Sie war
taub, und alleine zurückgeblieben, die Männer fort in's höhere Gebirg,
der Hunnen wegen.

Aber vor Tagesgrauen war Hadumoth wieder unterweges. Und
ſie ging durch lange, lange Wälder, drin wollte es kein Ende nehmen
mit Tannen und war das erſte lautloſe Weben des Frühlings im
Walde, die erſten Blumen ſtreckten ihre Häupter aus dem Moos her-
für, die erſten Käfer flogen leiſe ſummend drüber, und ein Harzgeruch
kräftig und anmuthend zog wehend herum als wär' er ein Weihrauch,
den die Tannen der Sonne hinaufſchickten zum Dank für Alles, was
ſie zu ihren Füßen luftig hervorgetrieben.

Der Hirtin gefiel's nicht. Hier iſt's zu ſchön, ſprach ſie, hier kön-
nen die Hunnen nicht ſein.

Sie lenkte ihren Schritt vom Gebirg abwärts und kam auf einen
Platz da war der Wald licht, und weite Umſchau. Tief unten in
der Ferne floß der Rhein gekrümmt gleich einer Schlange, eingeklemmt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0225" n="203"/>
verdeckten ihr die gewohnten &#x017F;tolzen Formen des heimathlichen Fel&#x017F;ens:<lb/>
da &#x017F;chaute &#x017F;ie etliche male zurück. Noch einmal luegte die Kuppe<lb/>
des hohen Twiel mit Thurm und Mauer und Zinnen zu ihr herüber,<lb/>
von blauem Duft umzogen, dann &#x017F;chwand &#x017F;ie. Ein unbekanntes Thal<lb/>
that &#x017F;ich auf, weite &#x017F;chwarze Tannwälder zogen &#x017F;ich drüber hin, niedere<lb/>
Hütten mit tief herabhangenden Strohdächern lagen ver&#x017F;teckt im Waldes-<lb/>
dunkel &#x2014; unverzagt ging Hadumoth weiter und winkte den hegauer<lb/>
Bergen den letzten Gruß zu.</p><lb/>
        <p>Wie die Sonne jen&#x017F;eits der Wälder zur Ruhe gegangen war,<lb/>
hielt &#x017F;ie eine Weile: Jetzt läuten &#x017F;ie zu Hau&#x017F;e den Abend&#x017F;egen, &#x017F;prach<lb/>
&#x017F;ie, ich will beten. Und &#x017F;ie kniete in der Bergein&#x017F;amkeit und betete,<lb/>
er&#x017F;t für Audifax, dann für die Herzogin, dann für &#x017F;ich &#x2014; und Alles<lb/>
war &#x017F;till ringsum. Sie hörte nur ihr eigen pochend Herz.</p><lb/>
        <p>Wie wird's meinen Gän&#x017F;en ergehen? dachte &#x017F;ie beim Auf&#x017F;tehen;<lb/>
jetzt i&#x017F;t die Stunde &#x017F;ie einzutreiben. Dann trat wieder Audifax vor<lb/>
ihre Seele, an de&#x017F;&#x017F;en Seite &#x017F;ie &#x017F;o oft von der Weide zu Berg gefah-<lb/>
ren, und &#x017F;ie ging &#x017F;chneller.</p><lb/>
        <p>In den Maierhöfen im Thal rührte &#x017F;ich Niemand. Nur vor ei-<lb/>
ner Strohdachhütte &#x017F;aß ein altes Weib. Du &#x017F;oll&#x017F;t mich heut' Nacht<lb/>
bei dir behalten, Großmutter, &#x017F;prach Hadumoth zutraulich. Die gab<lb/>
ihr keine Antwort, doch ein Zeichen daß &#x017F;ie bleiben könne. Sie war<lb/>
taub, und alleine zurückgeblieben, die Männer fort in's höhere Gebirg,<lb/>
der Hunnen wegen.</p><lb/>
        <p>Aber vor Tagesgrauen war Hadumoth wieder unterweges. Und<lb/>
&#x017F;ie ging durch lange, lange Wälder, drin wollte es kein Ende nehmen<lb/>
mit Tannen und war das er&#x017F;te lautlo&#x017F;e Weben des Frühlings im<lb/>
Walde, die er&#x017F;ten Blumen &#x017F;treckten ihre Häupter aus dem Moos her-<lb/>
für, die er&#x017F;ten Käfer flogen lei&#x017F;e &#x017F;ummend drüber, und ein Harzgeruch<lb/>
kräftig und anmuthend zog wehend herum als wär' er ein Weihrauch,<lb/>
den die Tannen der Sonne hinauf&#x017F;chickten zum Dank für Alles, was<lb/>
&#x017F;ie zu ihren Füßen luftig hervorgetrieben.</p><lb/>
        <p>Der Hirtin gefiel's nicht. Hier i&#x017F;t's zu &#x017F;chön, &#x017F;prach &#x017F;ie, hier kön-<lb/>
nen die Hunnen nicht &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Sie lenkte ihren Schritt vom Gebirg abwärts und kam auf einen<lb/>
Platz da war der Wald licht, und weite Um&#x017F;chau. Tief unten in<lb/>
der Ferne floß der Rhein gekrümmt gleich einer Schlange, eingeklemmt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0225] verdeckten ihr die gewohnten ſtolzen Formen des heimathlichen Felſens: da ſchaute ſie etliche male zurück. Noch einmal luegte die Kuppe des hohen Twiel mit Thurm und Mauer und Zinnen zu ihr herüber, von blauem Duft umzogen, dann ſchwand ſie. Ein unbekanntes Thal that ſich auf, weite ſchwarze Tannwälder zogen ſich drüber hin, niedere Hütten mit tief herabhangenden Strohdächern lagen verſteckt im Waldes- dunkel — unverzagt ging Hadumoth weiter und winkte den hegauer Bergen den letzten Gruß zu. Wie die Sonne jenſeits der Wälder zur Ruhe gegangen war, hielt ſie eine Weile: Jetzt läuten ſie zu Hauſe den Abendſegen, ſprach ſie, ich will beten. Und ſie kniete in der Bergeinſamkeit und betete, erſt für Audifax, dann für die Herzogin, dann für ſich — und Alles war ſtill ringsum. Sie hörte nur ihr eigen pochend Herz. Wie wird's meinen Gänſen ergehen? dachte ſie beim Aufſtehen; jetzt iſt die Stunde ſie einzutreiben. Dann trat wieder Audifax vor ihre Seele, an deſſen Seite ſie ſo oft von der Weide zu Berg gefah- ren, und ſie ging ſchneller. In den Maierhöfen im Thal rührte ſich Niemand. Nur vor ei- ner Strohdachhütte ſaß ein altes Weib. Du ſollſt mich heut' Nacht bei dir behalten, Großmutter, ſprach Hadumoth zutraulich. Die gab ihr keine Antwort, doch ein Zeichen daß ſie bleiben könne. Sie war taub, und alleine zurückgeblieben, die Männer fort in's höhere Gebirg, der Hunnen wegen. Aber vor Tagesgrauen war Hadumoth wieder unterweges. Und ſie ging durch lange, lange Wälder, drin wollte es kein Ende nehmen mit Tannen und war das erſte lautloſe Weben des Frühlings im Walde, die erſten Blumen ſtreckten ihre Häupter aus dem Moos her- für, die erſten Käfer flogen leiſe ſummend drüber, und ein Harzgeruch kräftig und anmuthend zog wehend herum als wär' er ein Weihrauch, den die Tannen der Sonne hinaufſchickten zum Dank für Alles, was ſie zu ihren Füßen luftig hervorgetrieben. Der Hirtin gefiel's nicht. Hier iſt's zu ſchön, ſprach ſie, hier kön- nen die Hunnen nicht ſein. Sie lenkte ihren Schritt vom Gebirg abwärts und kam auf einen Platz da war der Wald licht, und weite Umſchau. Tief unten in der Ferne floß der Rhein gekrümmt gleich einer Schlange, eingeklemmt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/225
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/225>, abgerufen am 28.04.2024.