Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_100.001
diese Vorstellung wirkt aber nicht unangenehm, wenn wir psc_100.002
selbst sicher sind: der menschliche Egoismus spricht mit und psc_100.003
die Erwägung, daß die Feinde sonst uns getödtet hätten.

psc_100.004

8) Durch das Verfahren der ästhetischen Substitution psc_100.005
kann sich das Verhältniß von 7) auch auf Andere übertragen, psc_100.006
auf die Helden epischer Erzählungen oder dramatischer psc_100.007
Darstellungen. Wir treten für die sympathische Sache psc_100.008
ein, auch wenn wir nicht mehr direct davon Vortheil haben; psc_100.009
so haben wir, als bloß betrachtendes Publicum dem Verlauf psc_100.010
gegenüberstehend, Vergnügen daran, wenn der Held siegreich psc_100.011
ist. Wir begleiten den Sieger, identificiren uns mit ihm, psc_100.012
schreiten mit ihm über die Leichen erschlagener Feinde, genießen psc_100.013
mit ihm die Aufregung und Spannung des Kampfes psc_100.014
und die Freude des Sieges. War der Kampf mühsam, psc_100.015
glaubten wir den Helden in ernstlicher Gefahr zu unterliegen, so psc_100.016
wirkt der Triumph um so göttlicher. Hier kommt zunächst psc_100.017
wieder der Egoismus indirect in Betracht, insofern wir uns psc_100.018
mit dem Helden identificiren. Außerdem wirken aber noch psc_100.019
andere Momente:

psc_100.020

a) Ein Princip des Contrastes, dessen Werth wir noch psc_100.021
im vierten Abschnitt dieses Kapitels näher erwägen wollen: wir psc_100.022
empfinden das Vergnügen, durch Nacht zum Licht gekommen psc_100.023
zu sein, wenn wir den Helden durch Gefahren hindurch psc_100.024
zum Siege gelangen sehen. Dasselbe Princip kann sich psc_100.025
auf die Gestalten ausdehnen, die uns überhaupt vorgeführt psc_100.026
werden: dem sympathischen Sieger könnten unsympathische psc_100.027
Feinde gegenübergestellt werden; die Gegner, die er besiegt,

psc_100.001
diese Vorstellung wirkt aber nicht unangenehm, wenn wir psc_100.002
selbst sicher sind: der menschliche Egoismus spricht mit und psc_100.003
die Erwägung, daß die Feinde sonst uns getödtet hätten.

psc_100.004

  8) Durch das Verfahren der ästhetischen Substitution psc_100.005
kann sich das Verhältniß von 7) auch auf Andere übertragen, psc_100.006
auf die Helden epischer Erzählungen oder dramatischer psc_100.007
Darstellungen. Wir treten für die sympathische Sache psc_100.008
ein, auch wenn wir nicht mehr direct davon Vortheil haben; psc_100.009
so haben wir, als bloß betrachtendes Publicum dem Verlauf psc_100.010
gegenüberstehend, Vergnügen daran, wenn der Held siegreich psc_100.011
ist. Wir begleiten den Sieger, identificiren uns mit ihm, psc_100.012
schreiten mit ihm über die Leichen erschlagener Feinde, genießen psc_100.013
mit ihm die Aufregung und Spannung des Kampfes psc_100.014
und die Freude des Sieges. War der Kampf mühsam, psc_100.015
glaubten wir den Helden in ernstlicher Gefahr zu unterliegen, so psc_100.016
wirkt der Triumph um so göttlicher. Hier kommt zunächst psc_100.017
wieder der Egoismus indirect in Betracht, insofern wir uns psc_100.018
mit dem Helden identificiren. Außerdem wirken aber noch psc_100.019
andere Momente:

psc_100.020

  a) Ein Princip des Contrastes, dessen Werth wir noch psc_100.021
im vierten Abschnitt dieses Kapitels näher erwägen wollen: wir psc_100.022
empfinden das Vergnügen, durch Nacht zum Licht gekommen psc_100.023
zu sein, wenn wir den Helden durch Gefahren hindurch psc_100.024
zum Siege gelangen sehen. Dasselbe Princip kann sich psc_100.025
auf die Gestalten ausdehnen, die uns überhaupt vorgeführt psc_100.026
werden: dem sympathischen Sieger könnten unsympathische psc_100.027
Feinde gegenübergestellt werden; die Gegner, die er besiegt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="100"/><lb n="psc_100.001"/>
diese Vorstellung wirkt aber nicht unangenehm, wenn wir <lb n="psc_100.002"/>
selbst sicher sind: der menschliche Egoismus spricht mit und <lb n="psc_100.003"/>
die Erwägung, daß die Feinde sonst uns getödtet hätten.</p>
          <lb n="psc_100.004"/>
          <p>  8) Durch das Verfahren der ästhetischen Substitution <lb n="psc_100.005"/>
kann sich das Verhältniß von 7) auch auf Andere übertragen, <lb n="psc_100.006"/>
auf die Helden epischer Erzählungen oder dramatischer <lb n="psc_100.007"/>
Darstellungen. Wir treten für die sympathische Sache <lb n="psc_100.008"/>
ein, auch wenn wir nicht mehr direct davon Vortheil haben; <lb n="psc_100.009"/>
so haben wir, als bloß betrachtendes Publicum dem Verlauf <lb n="psc_100.010"/>
gegenüberstehend, Vergnügen daran, wenn der Held siegreich <lb n="psc_100.011"/>
ist. Wir begleiten den Sieger, identificiren uns mit ihm, <lb n="psc_100.012"/>
schreiten mit ihm über die Leichen erschlagener Feinde, genießen <lb n="psc_100.013"/>
mit ihm die Aufregung und Spannung des Kampfes <lb n="psc_100.014"/>
und die Freude des Sieges. War der Kampf mühsam, <lb n="psc_100.015"/>
glaubten wir den Helden in ernstlicher Gefahr zu unterliegen, so <lb n="psc_100.016"/>
wirkt der Triumph um so göttlicher. Hier kommt zunächst <lb n="psc_100.017"/>
wieder der Egoismus indirect in Betracht, insofern wir uns <lb n="psc_100.018"/>
mit dem Helden identificiren. Außerdem wirken aber noch <lb n="psc_100.019"/>
andere Momente:</p>
          <lb n="psc_100.020"/>
          <p>  <hi rendition="#aq">a</hi>) Ein Princip des Contrastes, dessen Werth wir noch <lb n="psc_100.021"/>
im vierten Abschnitt dieses Kapitels näher erwägen wollen: wir <lb n="psc_100.022"/>
empfinden das Vergnügen, durch Nacht zum Licht gekommen <lb n="psc_100.023"/>
zu sein, wenn wir den Helden durch Gefahren hindurch <lb n="psc_100.024"/>
zum Siege gelangen sehen. Dasselbe Princip kann sich <lb n="psc_100.025"/>
auf die Gestalten ausdehnen, die uns überhaupt vorgeführt <lb n="psc_100.026"/>
werden: dem sympathischen Sieger könnten unsympathische <lb n="psc_100.027"/>
Feinde gegenübergestellt werden; die Gegner, die er besiegt,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0116] psc_100.001 diese Vorstellung wirkt aber nicht unangenehm, wenn wir psc_100.002 selbst sicher sind: der menschliche Egoismus spricht mit und psc_100.003 die Erwägung, daß die Feinde sonst uns getödtet hätten. psc_100.004   8) Durch das Verfahren der ästhetischen Substitution psc_100.005 kann sich das Verhältniß von 7) auch auf Andere übertragen, psc_100.006 auf die Helden epischer Erzählungen oder dramatischer psc_100.007 Darstellungen. Wir treten für die sympathische Sache psc_100.008 ein, auch wenn wir nicht mehr direct davon Vortheil haben; psc_100.009 so haben wir, als bloß betrachtendes Publicum dem Verlauf psc_100.010 gegenüberstehend, Vergnügen daran, wenn der Held siegreich psc_100.011 ist. Wir begleiten den Sieger, identificiren uns mit ihm, psc_100.012 schreiten mit ihm über die Leichen erschlagener Feinde, genießen psc_100.013 mit ihm die Aufregung und Spannung des Kampfes psc_100.014 und die Freude des Sieges. War der Kampf mühsam, psc_100.015 glaubten wir den Helden in ernstlicher Gefahr zu unterliegen, so psc_100.016 wirkt der Triumph um so göttlicher. Hier kommt zunächst psc_100.017 wieder der Egoismus indirect in Betracht, insofern wir uns psc_100.018 mit dem Helden identificiren. Außerdem wirken aber noch psc_100.019 andere Momente: psc_100.020   a) Ein Princip des Contrastes, dessen Werth wir noch psc_100.021 im vierten Abschnitt dieses Kapitels näher erwägen wollen: wir psc_100.022 empfinden das Vergnügen, durch Nacht zum Licht gekommen psc_100.023 zu sein, wenn wir den Helden durch Gefahren hindurch psc_100.024 zum Siege gelangen sehen. Dasselbe Princip kann sich psc_100.025 auf die Gestalten ausdehnen, die uns überhaupt vorgeführt psc_100.026 werden: dem sympathischen Sieger könnten unsympathische psc_100.027 Feinde gegenübergestellt werden; die Gegner, die er besiegt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/116
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/116>, abgerufen am 26.04.2024.