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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Thätigkeiten des moralischen Wesens zu diesem
Principium stehen, bezeichnen wir mit dem Namen
der Moralität; und eine Handlung ist mora¬
lisch gut, oder moralisch-böse, je nachdem sie
sich jenem nähert oder von ihm entfernet, es be¬
fördert oder hindert. Sind wir darüber einig?"

Vollkommen.

"Da nun jenes Principium kein andres ist, als
die vollständigste Thätigkeit aller Kräfte im Men¬
schen, so ist eine gute Handlung, wobey mehr
Kräfte thätig waren, eine schlimme, wobey weni¬
ger thätig waren?"

Hier, gnädigster Herr, lassen Sie uns inne
halten. Diesem nach käme eine kleine Wohlthat,
die ich reiche, in der moralischen Rangordnung
sehr tief unter das jahrlange Komplott der Bartho¬
lomäusnacht zu stehen, oder die Verschwörung
des Cueva gegen Venedig.

Der Prinz verlohr hier die Geduld. 'Wann
werd' ich Ihnen doch begreiflich machen können,
fing er an, daß die Natur kein Ganzes kenne?
Stellen Sie zusammen, was zusammen gehört.
War jenes Komplott eine Handlung, oder nicht
vielmehr eine Kette von hunderttausenden? --
und von hunderttausend mangelhaften, gegen
welche Ihre kleine Wohlthat noch immer im Vor¬
theile stehet. Der Trieb der Menschenliebe schlief
bey allen, der bey der Ihrigen thätig war. Aber
wir kommen ab. Wo blieb ich?"

Eine gute Handlung sey, wobey mehr Kräfte
thätig waren, und umgekehrt.

"Und

Thätigkeiten des moraliſchen Weſens zu dieſem
Principium ſtehen, bezeichnen wir mit dem Namen
der Moralität; und eine Handlung iſt mora¬
liſch gut, oder moraliſch-böſe, je nachdem ſie
ſich jenem nähert oder von ihm entfernet, es be¬
fördert oder hindert. Sind wir darüber einig?“

Vollkommen.

„Da nun jenes Principium kein andres iſt, als
die vollſtändigſte Thätigkeit aller Kräfte im Men¬
ſchen, ſo iſt eine gute Handlung, wobey mehr
Kräfte thätig waren, eine ſchlimme, wobey weni¬
ger thätig waren?“

Hier, gnädigſter Herr, laſſen Sie uns inne
halten. Dieſem nach käme eine kleine Wohlthat,
die ich reiche, in der moraliſchen Rangordnung
ſehr tief unter das jahrlange Komplott der Bartho¬
lomäusnacht zu ſtehen, oder die Verſchwörung
des Cueva gegen Venedig.

Der Prinz verlohr hier die Geduld. ’Wann
werd' ich Ihnen doch begreiflich machen können,
fing er an, daß die Natur kein Ganzes kenne?
Stellen Sie zuſammen, was zuſammen gehört.
War jenes Komplott eine Handlung, oder nicht
vielmehr eine Kette von hunderttauſenden? —
und von hunderttauſend mangelhaften, gegen
welche Ihre kleine Wohlthat noch immer im Vor¬
theile ſtehet. Der Trieb der Menſchenliebe ſchlief
bey allen, der bey der Ihrigen thätig war. Aber
wir kommen ab. Wo blieb ich?“

Eine gute Handlung ſey, wobey mehr Kräfte
thätig waren, und umgekehrt.

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[148/0156] Thätigkeiten des moraliſchen Weſens zu dieſem Principium ſtehen, bezeichnen wir mit dem Namen der Moralität; und eine Handlung iſt mora¬ liſch gut, oder moraliſch-böſe, je nachdem ſie ſich jenem nähert oder von ihm entfernet, es be¬ fördert oder hindert. Sind wir darüber einig?“ Vollkommen. „Da nun jenes Principium kein andres iſt, als die vollſtändigſte Thätigkeit aller Kräfte im Men¬ ſchen, ſo iſt eine gute Handlung, wobey mehr Kräfte thätig waren, eine ſchlimme, wobey weni¬ ger thätig waren?“ Hier, gnädigſter Herr, laſſen Sie uns inne halten. Dieſem nach käme eine kleine Wohlthat, die ich reiche, in der moraliſchen Rangordnung ſehr tief unter das jahrlange Komplott der Bartho¬ lomäusnacht zu ſtehen, oder die Verſchwörung des Cueva gegen Venedig. Der Prinz verlohr hier die Geduld. ’Wann werd' ich Ihnen doch begreiflich machen können, fing er an, daß die Natur kein Ganzes kenne? Stellen Sie zuſammen, was zuſammen gehört. War jenes Komplott eine Handlung, oder nicht vielmehr eine Kette von hunderttauſenden? — und von hunderttauſend mangelhaften, gegen welche Ihre kleine Wohlthat noch immer im Vor¬ theile ſtehet. Der Trieb der Menſchenliebe ſchlief bey allen, der bey der Ihrigen thätig war. Aber wir kommen ab. Wo blieb ich?“ Eine gute Handlung ſey, wobey mehr Kräfte thätig waren, und umgekehrt. „Und

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/156>, abgerufen am 28.04.2024.