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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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doch von einer irrigen Vorstellung zurück zu brin¬
gen, die sich einmal Ihrer bemächtigt hat. Die¬
ser anscheinende Widerspruch, daß die äußern Fol¬
gen einer moralischen That für ihren Werth höchst
gleichgültig seyn, und daß der ganze Zweck seines
Daseyns dennoch nur in seinen Folgen nach außen
liege, verwirrt Sie immer. Nehmen Sie an, ein
großer Virtuose spiele vor einer zahlreichen aber
rohen Gesellschaft, ein Stümper komme dazwischen
und entführe ihm seinen ganzen Hörsaal -- Wel¬
chen werden Sie für den Nützlicheren er¬
klären?"

Den Virtuosen, versteht sich; denn derselbe
Künstler wird ein andermal feinere Ohren ergötzen.

"Und würde er dieses wohl, wenn er die Kunst
nicht besäße, die damals verloren ging, und die
er damals übte?"

Schwerlich.

"Und wird sein Nebenbuhler jemals diejenige
Wirkung hervorbringen, die er hervorbrachte?"

Diejenige nicht, aber --

"Aber vielleicht eine größre bey seinem größern
Haufen, wollen Sie sagen. Können Sie im Ernste
zweifelhaft seyn, ob ein Künstler, der einen Kreis
fühlender Menschen und geistreicher Kenner zu be¬
zaubern gewußt hat, mehr gethan habe, als jener
Stümper in seinem ganzen Leben? Daß eine Em¬
pfindung vielleicht, die er erweckte, in einer fei¬

nen

doch von einer irrigen Vorſtellung zurück zu brin¬
gen, die ſich einmal Ihrer bemächtigt hat. Die¬
ſer anſcheinende Widerſpruch, daß die äußern Fol¬
gen einer moraliſchen That für ihren Werth höchſt
gleichgültig ſeyn, und daß der ganze Zweck ſeines
Daſeyns dennoch nur in ſeinen Folgen nach außen
liege, verwirrt Sie immer. Nehmen Sie an, ein
großer Virtuoſe ſpiele vor einer zahlreichen aber
rohen Geſellſchaft, ein Stümper komme dazwiſchen
und entführe ihm ſeinen ganzen Hörſaal — Wel¬
chen werden Sie für den Nützlicheren er¬
klären?“

Den Virtuoſen, verſteht ſich; denn derſelbe
Künſtler wird ein andermal feinere Ohren ergötzen.

„Und würde er dieſes wohl, wenn er die Kunſt
nicht beſäße, die damals verloren ging, und die
er damals übte?“

Schwerlich.

„Und wird ſein Nebenbuhler jemals diejenige
Wirkung hervorbringen, die er hervorbrachte?“

Diejenige nicht, aber —

„Aber vielleicht eine größre bey ſeinem größern
Haufen, wollen Sie ſagen. Können Sie im Ernſte
zweifelhaft ſeyn, ob ein Künſtler, der einen Kreis
fühlender Menſchen und geiſtreicher Kenner zu be¬
zaubern gewußt hat, mehr gethan habe, als jener
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pfindung vielleicht, die er erweckte, in einer fei¬

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[157/0165] doch von einer irrigen Vorſtellung zurück zu brin¬ gen, die ſich einmal Ihrer bemächtigt hat. Die¬ ſer anſcheinende Widerſpruch, daß die äußern Fol¬ gen einer moraliſchen That für ihren Werth höchſt gleichgültig ſeyn, und daß der ganze Zweck ſeines Daſeyns dennoch nur in ſeinen Folgen nach außen liege, verwirrt Sie immer. Nehmen Sie an, ein großer Virtuoſe ſpiele vor einer zahlreichen aber rohen Geſellſchaft, ein Stümper komme dazwiſchen und entführe ihm ſeinen ganzen Hörſaal — Wel¬ chen werden Sie für den Nützlicheren er¬ klären?“ Den Virtuoſen, verſteht ſich; denn derſelbe Künſtler wird ein andermal feinere Ohren ergötzen. „Und würde er dieſes wohl, wenn er die Kunſt nicht beſäße, die damals verloren ging, und die er damals übte?“ Schwerlich. „Und wird ſein Nebenbuhler jemals diejenige Wirkung hervorbringen, die er hervorbrachte?“ Diejenige nicht, aber — „Aber vielleicht eine größre bey ſeinem größern Haufen, wollen Sie ſagen. Können Sie im Ernſte zweifelhaft ſeyn, ob ein Künſtler, der einen Kreis fühlender Menſchen und geiſtreicher Kenner zu be¬ zaubern gewußt hat, mehr gethan habe, als jener Stümper in ſeinem ganzen Leben? Daß eine Em¬ pfindung vielleicht, die er erweckte, in einer fei¬ nen

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/165>, abgerufen am 28.04.2024.