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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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ihnen zurückgelassen hatte, weil sonst die Liebe zur
Freiheit in den nur halbgezähmten Thieren erwacht
seyn und sie zerstreut haben würde; so aber, wo sie
an dem einen Vorder- und dem einen Hinterfuße ge-
fesselt waren, konnten sie die Flucht nicht versuchen,
sondern mußten sich mit der ihnen dargebotenen Weide
begnügen.

Die den Rossen abgenommenen Sättel und Zäume
lagen auf einem Haufen; Jeder griff nach dem
seinigen und in wenigen Minuten waren die muthi-
gen Thiere mit einer Geschicklichkeit und Schnelligkeit
gesattelt und gezäumt, daß der geschickteste europäische
Stallknecht es diesen Wilden nicht hätte zuvorthun
können. Man übergab dem jungen Deutschen ein sehr
schönes, reich geschmücktes Pferd, und obgleich er sich
aus Höflichkeit sträubte, es zu besteigen, weil dann
einer der Wilden unberitten bleiben müßte, zwang
man ihn doch, diese Artigkeit anzunehmen.

Der Zug setzte sich jetzt in Bewegung. Die
Chippewas, obschon sie erst seit kurzer Zeit, vielleicht
erst seit wenigen Wochen, in dieser Gegend lebten,
kannten so genau die Wege und Stege im Walde,
daß sie sich auch nicht ein einziges Mal in der einzu-
schlagenden Richtung irrten, obgleich die Nacht bereits
hereingebrochen war und der Mondschein ihnen in dem
dichten Urwalde wenig oder gar nichts half, und sich

ihnen zurückgelaſſen hatte, weil ſonſt die Liebe zur
Freiheit in den nur halbgezähmten Thieren erwacht
ſeyn und ſie zerſtreut haben würde; ſo aber, wo ſie
an dem einen Vorder- und dem einen Hinterfuße ge-
feſſelt waren, konnten ſie die Flucht nicht verſuchen,
ſondern mußten ſich mit der ihnen dargebotenen Weide
begnügen.

Die den Roſſen abgenommenen Sättel und Zäume
lagen auf einem Haufen; Jeder griff nach dem
ſeinigen und in wenigen Minuten waren die muthi-
gen Thiere mit einer Geſchicklichkeit und Schnelligkeit
geſattelt und gezäumt, daß der geſchickteſte europäiſche
Stallknecht es dieſen Wilden nicht hätte zuvorthun
können. Man übergab dem jungen Deutſchen ein ſehr
ſchönes, reich geſchmücktes Pferd, und obgleich er ſich
aus Höflichkeit ſträubte, es zu beſteigen, weil dann
einer der Wilden unberitten bleiben müßte, zwang
man ihn doch, dieſe Artigkeit anzunehmen.

Der Zug ſetzte ſich jetzt in Bewegung. Die
Chippewas, obſchon ſie erſt ſeit kurzer Zeit, vielleicht
erſt ſeit wenigen Wochen, in dieſer Gegend lebten,
kannten ſo genau die Wege und Stege im Walde,
daß ſie ſich auch nicht ein einziges Mal in der einzu-
ſchlagenden Richtung irrten, obgleich die Nacht bereits
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[12/0018] ihnen zurückgelaſſen hatte, weil ſonſt die Liebe zur Freiheit in den nur halbgezähmten Thieren erwacht ſeyn und ſie zerſtreut haben würde; ſo aber, wo ſie an dem einen Vorder- und dem einen Hinterfuße ge- feſſelt waren, konnten ſie die Flucht nicht verſuchen, ſondern mußten ſich mit der ihnen dargebotenen Weide begnügen. Die den Roſſen abgenommenen Sättel und Zäume lagen auf einem Haufen; Jeder griff nach dem ſeinigen und in wenigen Minuten waren die muthi- gen Thiere mit einer Geſchicklichkeit und Schnelligkeit geſattelt und gezäumt, daß der geſchickteſte europäiſche Stallknecht es dieſen Wilden nicht hätte zuvorthun können. Man übergab dem jungen Deutſchen ein ſehr ſchönes, reich geſchmücktes Pferd, und obgleich er ſich aus Höflichkeit ſträubte, es zu beſteigen, weil dann einer der Wilden unberitten bleiben müßte, zwang man ihn doch, dieſe Artigkeit anzunehmen. Der Zug ſetzte ſich jetzt in Bewegung. Die Chippewas, obſchon ſie erſt ſeit kurzer Zeit, vielleicht erſt ſeit wenigen Wochen, in dieſer Gegend lebten, kannten ſo genau die Wege und Stege im Walde, daß ſie ſich auch nicht ein einziges Mal in der einzu- ſchlagenden Richtung irrten, obgleich die Nacht bereits hereingebrochen war und der Mondſchein ihnen in dem dichten Urwalde wenig oder gar nichts half, und ſich

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/18>, abgerufen am 30.04.2024.