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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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so fort, wie ich es von der Schule gewohnt war,
selbst mein Dachstübchen hatte ich behalten, und Privat¬
stundengeben war mein Erwerbsquell nach wie vor,
um so mehr, als jetzt einer meiner jüngeren Brüder
bei mir lebte, dem ich das kleine Stipendium, das ich
von der Universität erhielt -- Sie wissen, daß in
Grünwald ein Student ohne Stipendium eine rara avis
ist -- überließ; so wie die Freitische, die ich jetzt ent¬
behren konnte, da die Caravanserei des Convicts mir
ihre gastlichen Thore geöffnet hatte. So verging das
Triennium in etwas monotoner, aber nicht unbehag¬
licher Weise. Ein Tag sah so ziemlich aus wie der
andere; nur der Mittwoch hatte für mich eine etwas
düstere Physiognomie, weil es an demselben Erbsen
mit Schweinefleisch im Convict gab, ein Gericht, an
das ich mich, trotz meiner liberalen Grundsätze in dieser
Beziehung, niemals habe gewöhnen können. Ich mußte
jedesmal, wenn die Schüssel zu mir kam, an die schönen
Sommermorgen denken, die ich im Eichwalde zugebracht
hatte, wenn mein Eumaeus pothumus seine Heerde
weidete, und ich die Eclogen des Virgil dazu las; und
dann blieb mir der Bissen im Munde stecken. Sie
werden das wahrscheinlich sehr sentimental finden, aber
es hat ja Jeder seine Schwächen. -- Vom Leben sah
ich während dieser Zeit ungefähr so viel, wie ein Ka¬

ſo fort, wie ich es von der Schule gewohnt war,
ſelbſt mein Dachſtübchen hatte ich behalten, und Privat¬
ſtundengeben war mein Erwerbsquell nach wie vor,
um ſo mehr, als jetzt einer meiner jüngeren Brüder
bei mir lebte, dem ich das kleine Stipendium, das ich
von der Universität erhielt — Sie wiſſen, daß in
Grünwald ein Student ohne Stipendium eine rara avis
iſt — überließ; ſo wie die Freitiſche, die ich jetzt ent¬
behren konnte, da die Caravanſerei des Convicts mir
ihre gaſtlichen Thore geöffnet hatte. So verging das
Triennium in etwas monotoner, aber nicht unbehag¬
licher Weiſe. Ein Tag ſah ſo ziemlich aus wie der
andere; nur der Mittwoch hatte für mich eine etwas
düſtere Phyſiognomie, weil es an demſelben Erbſen
mit Schweinefleiſch im Convict gab, ein Gericht, an
das ich mich, trotz meiner liberalen Grundſätze in dieſer
Beziehung, niemals habe gewöhnen können. Ich mußte
jedesmal, wenn die Schüſſel zu mir kam, an die ſchönen
Sommermorgen denken, die ich im Eichwalde zugebracht
hatte, wenn mein Eumaeus pothumus ſeine Heerde
weidete, und ich die Eclogen des Virgil dazu las; und
dann blieb mir der Biſſen im Munde ſtecken. Sie
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ich während dieſer Zeit ungefähr ſo viel, wie ein Ka¬

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[238/0248] ſo fort, wie ich es von der Schule gewohnt war, ſelbſt mein Dachſtübchen hatte ich behalten, und Privat¬ ſtundengeben war mein Erwerbsquell nach wie vor, um ſo mehr, als jetzt einer meiner jüngeren Brüder bei mir lebte, dem ich das kleine Stipendium, das ich von der Universität erhielt — Sie wiſſen, daß in Grünwald ein Student ohne Stipendium eine rara avis iſt — überließ; ſo wie die Freitiſche, die ich jetzt ent¬ behren konnte, da die Caravanſerei des Convicts mir ihre gaſtlichen Thore geöffnet hatte. So verging das Triennium in etwas monotoner, aber nicht unbehag¬ licher Weiſe. Ein Tag ſah ſo ziemlich aus wie der andere; nur der Mittwoch hatte für mich eine etwas düſtere Phyſiognomie, weil es an demſelben Erbſen mit Schweinefleiſch im Convict gab, ein Gericht, an das ich mich, trotz meiner liberalen Grundſätze in dieſer Beziehung, niemals habe gewöhnen können. Ich mußte jedesmal, wenn die Schüſſel zu mir kam, an die ſchönen Sommermorgen denken, die ich im Eichwalde zugebracht hatte, wenn mein Eumaeus pothumus ſeine Heerde weidete, und ich die Eclogen des Virgil dazu las; und dann blieb mir der Biſſen im Munde ſtecken. Sie werden das wahrſcheinlich ſehr ſentimental finden, aber es hat ja Jeder ſeine Schwächen. — Vom Leben ſah ich während dieſer Zeit ungefähr ſo viel, wie ein Ka¬

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/248>, abgerufen am 28.04.2024.