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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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welcher das Wesen wohnte, das von überirdischen
Räumen gekommen war, meine Seele zu erfüllen.
Mathilde sah die Vergötterung, welche ich ihr weihte,
sie sah dieselbe genau auf den geheimen Wegen, auf
denen ich ihre Liebe erkannte, und Freude leuchtete
darüber von ihrer Stirne, welche gleichfalls nur von
mir gesehen wurde. Die Eltern Mathildens fingen
auch an, sie in vorzüglichere Stoffe zu kleiden, als sie
bisher gethan hatten, und wenn sie mit edlen Gewän¬
dern angethan vor mir stand, kam sie mir ferner und
näher fremder und angehöriger vor als sonst."

"Eines Tages, als ich über die Treppe unsers
Hauses, welches nur von unserer Familie allein be¬
wohnt wurde, herabging, um einen Freund zu besu¬
chen, begegnete mir Mathilde. Sie war mit der Mut¬
ter an das Haus gefahren, die Mutter war in dem
Wagen sizen geblieben, sie aber sollte hinaufgehen,
um irgend etwas zu holen. Sie war in schwarze
Seide gekleidet, ein seidenes Mäntelchen war um
ihre Schultern, und aus dem Hute mit dem grünen
Flore sah das blühende durch die Kälte erfrischte An¬
gesicht hervor. Da wir uns hinter einer Biegung der
Treppe begegneten, wurde sie dunkelglühend. Ich er¬
schrak, und sagte aber: ""O Mathilde, Mathilde, du

welcher das Weſen wohnte, das von überirdiſchen
Räumen gekommen war, meine Seele zu erfüllen.
Mathilde ſah die Vergötterung, welche ich ihr weihte,
ſie ſah dieſelbe genau auf den geheimen Wegen, auf
denen ich ihre Liebe erkannte, und Freude leuchtete
darüber von ihrer Stirne, welche gleichfalls nur von
mir geſehen wurde. Die Eltern Mathildens fingen
auch an, ſie in vorzüglichere Stoffe zu kleiden, als ſie
bisher gethan hatten, und wenn ſie mit edlen Gewän¬
dern angethan vor mir ſtand, kam ſie mir ferner und
näher fremder und angehöriger vor als ſonſt.“

„Eines Tages, als ich über die Treppe unſers
Hauſes, welches nur von unſerer Familie allein be¬
wohnt wurde, herabging, um einen Freund zu beſu¬
chen, begegnete mir Mathilde. Sie war mit der Mut¬
ter an das Haus gefahren, die Mutter war in dem
Wagen ſizen geblieben, ſie aber ſollte hinaufgehen,
um irgend etwas zu holen. Sie war in ſchwarze
Seide gekleidet, ein ſeidenes Mäntelchen war um
ihre Schultern, und aus dem Hute mit dem grünen
Flore ſah das blühende durch die Kälte erfriſchte An¬
geſicht hervor. Da wir uns hinter einer Biegung der
Treppe begegneten, wurde ſie dunkelglühend. Ich er¬
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[302/0316] welcher das Weſen wohnte, das von überirdiſchen Räumen gekommen war, meine Seele zu erfüllen. Mathilde ſah die Vergötterung, welche ich ihr weihte, ſie ſah dieſelbe genau auf den geheimen Wegen, auf denen ich ihre Liebe erkannte, und Freude leuchtete darüber von ihrer Stirne, welche gleichfalls nur von mir geſehen wurde. Die Eltern Mathildens fingen auch an, ſie in vorzüglichere Stoffe zu kleiden, als ſie bisher gethan hatten, und wenn ſie mit edlen Gewän¬ dern angethan vor mir ſtand, kam ſie mir ferner und näher fremder und angehöriger vor als ſonſt.“ „Eines Tages, als ich über die Treppe unſers Hauſes, welches nur von unſerer Familie allein be¬ wohnt wurde, herabging, um einen Freund zu beſu¬ chen, begegnete mir Mathilde. Sie war mit der Mut¬ ter an das Haus gefahren, die Mutter war in dem Wagen ſizen geblieben, ſie aber ſollte hinaufgehen, um irgend etwas zu holen. Sie war in ſchwarze Seide gekleidet, ein ſeidenes Mäntelchen war um ihre Schultern, und aus dem Hute mit dem grünen Flore ſah das blühende durch die Kälte erfriſchte An¬ geſicht hervor. Da wir uns hinter einer Biegung der Treppe begegneten, wurde ſie dunkelglühend. Ich er¬ ſchrak, und ſagte aber: „„O Mathilde, Mathilde, du

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/316>, abgerufen am 29.04.2024.