Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Garten, der aber eigentlich kein Garten war, sondern
mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum stand,
den niemand pflegte. Hart an einem Eisengitter unseres
Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden
Garten war. Ich sah in jenem Garten immer sehr schöne
weiße Tücher und andere Wäsche auf langen Schnüren
aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fenstern
theils durch das Eisengitter, wenn ich eben in dem
Garten war, darauf hin. Wenn sie troken waren,
wurden sie in einen Korb gesammelt, während eine
Frau dabei stand, und es anordnete. Dann wurden
wieder nasse aufgehängt, nachdem die Frau die zwischen
Pflöken gespannten Schnüre mit einem Tuche abge¬
wischt hatte. Diese Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte
hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach
seinem Tode war auch sein alter gütiger Herr gestor¬
ben, und der Sohn desselben hatte ein so hartes
Herz, daß er der Wittwe nur so viel gab, daß sie
nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das
Gärtchen, das an unsern Garten stieß, sie mietehte
auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten
stand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterlassen
hatte, richtete sie nun das Häuschen und den Garten
dazu ein, daß sie für die Leute, welche ihr das Ver¬
trauen schenken würden, Wäsche besorgte, feine und

Stifter, Jugendschriften. I. 11

Garten, der aber eigentlich kein Garten war, ſondern
mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum ſtand,
den niemand pflegte. Hart an einem Eiſengitter unſeres
Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden
Garten war. Ich ſah in jenem Garten immer ſehr ſchöne
weiße Tücher und andere Wäſche auf langen Schnüren
aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fenſtern
theils durch das Eiſengitter, wenn ich eben in dem
Garten war, darauf hin. Wenn ſie troken waren,
wurden ſie in einen Korb geſammelt, während eine
Frau dabei ſtand, und es anordnete. Dann wurden
wieder naſſe aufgehängt, nachdem die Frau die zwiſchen
Pflöken geſpannten Schnüre mit einem Tuche abge¬
wiſcht hatte. Dieſe Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte
hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach
ſeinem Tode war auch ſein alter gütiger Herr geſtor¬
ben, und der Sohn desſelben hatte ein ſo hartes
Herz, daß er der Wittwe nur ſo viel gab, daß ſie
nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das
Gärtchen, das an unſern Garten ſtieß, ſie mietehte
auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten
ſtand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterlaſſen
hatte, richtete ſie nun das Häuschen und den Garten
dazu ein, daß ſie für die Leute, welche ihr das Ver¬
trauen ſchenken würden, Wäſche beſorgte, feine und

Stifter, Jugendſchriften. I. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0174" n="161"/>
Garten, der aber eigentlich kein Garten war, &#x017F;ondern<lb/>
mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum &#x017F;tand,<lb/>
den niemand pflegte. Hart an einem Ei&#x017F;engitter un&#x017F;eres<lb/>
Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden<lb/>
Garten war. Ich &#x017F;ah in jenem Garten immer &#x017F;ehr &#x017F;chöne<lb/>
weiße Tücher und andere Wä&#x017F;che auf langen Schnüren<lb/>
aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fen&#x017F;tern<lb/>
theils durch das Ei&#x017F;engitter, wenn ich eben in dem<lb/>
Garten war, darauf hin. Wenn &#x017F;ie troken waren,<lb/>
wurden &#x017F;ie in einen Korb ge&#x017F;ammelt, während eine<lb/>
Frau dabei &#x017F;tand, und es anordnete. Dann wurden<lb/>
wieder na&#x017F;&#x017F;e aufgehängt, nachdem die Frau die zwi&#x017F;chen<lb/>
Pflöken ge&#x017F;pannten Schnüre mit einem Tuche abge¬<lb/>
wi&#x017F;cht hatte. Die&#x017F;e Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte<lb/>
hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach<lb/>
&#x017F;einem Tode war auch &#x017F;ein alter gütiger Herr ge&#x017F;tor¬<lb/>
ben, und der Sohn des&#x017F;elben hatte ein &#x017F;o hartes<lb/>
Herz, daß er der Wittwe nur &#x017F;o viel gab, daß &#x017F;ie<lb/>
nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das<lb/>
Gärtchen, das an un&#x017F;ern Garten &#x017F;tieß, &#x017F;ie mietehte<lb/>
auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten<lb/>
&#x017F;tand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte, richtete &#x017F;ie nun das Häuschen und den Garten<lb/>
dazu ein, daß &#x017F;ie für die Leute, welche ihr das Ver¬<lb/>
trauen &#x017F;chenken würden, Wä&#x017F;che be&#x017F;orgte, feine und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Stifter, Jugend&#x017F;chriften. I. 11<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0174] Garten, der aber eigentlich kein Garten war, ſondern mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum ſtand, den niemand pflegte. Hart an einem Eiſengitter unſeres Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden Garten war. Ich ſah in jenem Garten immer ſehr ſchöne weiße Tücher und andere Wäſche auf langen Schnüren aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fenſtern theils durch das Eiſengitter, wenn ich eben in dem Garten war, darauf hin. Wenn ſie troken waren, wurden ſie in einen Korb geſammelt, während eine Frau dabei ſtand, und es anordnete. Dann wurden wieder naſſe aufgehängt, nachdem die Frau die zwiſchen Pflöken geſpannten Schnüre mit einem Tuche abge¬ wiſcht hatte. Dieſe Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach ſeinem Tode war auch ſein alter gütiger Herr geſtor¬ ben, und der Sohn desſelben hatte ein ſo hartes Herz, daß er der Wittwe nur ſo viel gab, daß ſie nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das Gärtchen, das an unſern Garten ſtieß, ſie mietehte auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten ſtand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterlaſſen hatte, richtete ſie nun das Häuschen und den Garten dazu ein, daß ſie für die Leute, welche ihr das Ver¬ trauen ſchenken würden, Wäſche beſorgte, feine und Stifter, Jugendſchriften. I. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/174
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/174>, abgerufen am 29.04.2024.