Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Tafel. Den einen überfiel bald ein theologi-
scher Serupel, bald ein Gedanke seiner künfti-
gen Liebe; und der andere ängstete sich heim-
lich, daß es in seinem Gehirne so finster, wie
eine durchnebelte Winternacht, aussah. Wie
oft buhlt' er vergebens um das belohnende
Lächeln des Marschalls, und wie oft verfolgte
sein schwerer Witz die flüchtigen Reden des lusti-
gen Kammerjunkers! aber eh' er sie erreichte,
waren sie von der Gesellschaft und von dem Red-
ner selber vergessen, und mit Verdrusse nahm
er wahr, daß niemand seine Einfälle begriff,
und alle seine witzige Mühe verloren gieng.
Ein alter hungriger Wolf schleicht so dem Fuch-
se nach, der unbekümmert durchs Gras scherzt,
den verdrüßlichen Räuber bald nach dieser bald
nach jener Seite hinlockt, und endlich doch sei-
ner groben Tatze entwischet. Zur Erholung
der gesättigten Gäste, deren immer sich anstren-
gender Witz manchmal schlaff zu werden be-
gonnte, rief der kluge Hofmarschall den Ver-

stand

Tafel. Den einen uͤberfiel bald ein theologi-
ſcher Serupel, bald ein Gedanke ſeiner kuͤnfti-
gen Liebe; und der andere aͤngſtete ſich heim-
lich, daß es in ſeinem Gehirne ſo finſter, wie
eine durchnebelte Winternacht, ausſah. Wie
oft buhlt’ er vergebens um das belohnende
Laͤcheln des Marſchalls, und wie oft verfolgte
ſein ſchwerer Witz die fluͤchtigen Reden des luſti-
gen Kammerjunkers! aber eh’ er ſie erreichte,
waren ſie von der Geſellſchaft und von dem Red-
ner ſelber vergeſſen, und mit Verdruſſe nahm
er wahr, daß niemand ſeine Einfaͤlle begriff,
und alle ſeine witzige Muͤhe verloren gieng.
Ein alter hungriger Wolf ſchleicht ſo dem Fuch-
ſe nach, der unbekuͤmmert durchs Gras ſcherzt,
den verdruͤßlichen Raͤuber bald nach dieſer bald
nach jener Seite hinlockt, und endlich doch ſei-
ner groben Tatze entwiſchet. Zur Erholung
der geſaͤttigten Gaͤſte, deren immer ſich anſtren-
gender Witz manchmal ſchlaff zu werden be-
gonnte, rief der kluge Hofmarſchall den Ver-

ſtand
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0084" n="80"/>
Tafel. Den einen u&#x0364;berfiel bald ein theologi-<lb/>
&#x017F;cher Serupel, bald ein Gedanke &#x017F;einer ku&#x0364;nfti-<lb/>
gen Liebe; und der andere a&#x0364;ng&#x017F;tete &#x017F;ich heim-<lb/>
lich, daß es in &#x017F;einem Gehirne &#x017F;o fin&#x017F;ter, wie<lb/>
eine durchnebelte Winternacht, aus&#x017F;ah. Wie<lb/>
oft buhlt&#x2019; er vergebens um das belohnende<lb/>
La&#x0364;cheln des Mar&#x017F;challs, und wie oft verfolgte<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;chwerer Witz die flu&#x0364;chtigen Reden des lu&#x017F;ti-<lb/>
gen Kammerjunkers! aber eh&#x2019; er &#x017F;ie erreichte,<lb/>
waren &#x017F;ie von der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und von dem Red-<lb/>
ner &#x017F;elber verge&#x017F;&#x017F;en, und mit Verdru&#x017F;&#x017F;e nahm<lb/>
er wahr, daß niemand &#x017F;eine Einfa&#x0364;lle begriff,<lb/>
und alle &#x017F;eine witzige Mu&#x0364;he verloren gieng.<lb/>
Ein alter hungriger Wolf &#x017F;chleicht &#x017F;o dem Fuch-<lb/>
&#x017F;e nach, der unbeku&#x0364;mmert durchs Gras &#x017F;cherzt,<lb/>
den verdru&#x0364;ßlichen Ra&#x0364;uber bald nach die&#x017F;er bald<lb/>
nach jener Seite hinlockt, und endlich doch &#x017F;ei-<lb/>
ner groben Tatze entwi&#x017F;chet. Zur Erholung<lb/>
der ge&#x017F;a&#x0364;ttigten Ga&#x0364;&#x017F;te, deren immer &#x017F;ich an&#x017F;tren-<lb/>
gender Witz manchmal &#x017F;chlaff zu werden be-<lb/>
gonnte, rief der kluge Hofmar&#x017F;chall den Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tand</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0084] Tafel. Den einen uͤberfiel bald ein theologi- ſcher Serupel, bald ein Gedanke ſeiner kuͤnfti- gen Liebe; und der andere aͤngſtete ſich heim- lich, daß es in ſeinem Gehirne ſo finſter, wie eine durchnebelte Winternacht, ausſah. Wie oft buhlt’ er vergebens um das belohnende Laͤcheln des Marſchalls, und wie oft verfolgte ſein ſchwerer Witz die fluͤchtigen Reden des luſti- gen Kammerjunkers! aber eh’ er ſie erreichte, waren ſie von der Geſellſchaft und von dem Red- ner ſelber vergeſſen, und mit Verdruſſe nahm er wahr, daß niemand ſeine Einfaͤlle begriff, und alle ſeine witzige Muͤhe verloren gieng. Ein alter hungriger Wolf ſchleicht ſo dem Fuch- ſe nach, der unbekuͤmmert durchs Gras ſcherzt, den verdruͤßlichen Raͤuber bald nach dieſer bald nach jener Seite hinlockt, und endlich doch ſei- ner groben Tatze entwiſchet. Zur Erholung der geſaͤttigten Gaͤſte, deren immer ſich anſtren- gender Witz manchmal ſchlaff zu werden be- gonnte, rief der kluge Hofmarſchall den Ver- ſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/84
Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/84>, abgerufen am 29.04.2024.