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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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von Zichy den sichersten Anhalt fand, bei dem Staats¬
kanzler Freiherrn von Hardenberg die günstigste Auf¬
nahme genoß, ja sogar von dem Grafen von Saint-
Marsan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch
ungeachtet alles guten Anscheins blieb ich in der schwie¬
rigsten und bedenklichsten Lage, gehemmt bei jedem
Schritt, in jeder Thätigkeit. Obgleich in glanzvoller
Geselligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein
Trost war Rahel, in deren Nähe zu sein mir alle
Widrigkeiten überwog. Ein andrer Trost erschien, und
bildete sich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der
Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der
Franzosen verstummten, die Nachricht von ihrem Rück¬
zug und Verderben erscholl, und dieses endlich vor Au¬
gen erschien in den jammervollen Trümmern des gro¬
ßen Heers. Die Russen rückten siegreich heran, über¬
schritten die Oder und standen schnell vor Berlin, wo
der Oberst von Tettenborn mit seinen Kosaken im er¬
sten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬
ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verstärkten
russischen Truppen entschieden einrückten.

Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬
fühl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬
tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬
ralstabe angestellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬
sehens. Mein Verhältniß war schnell entschieden, Tet¬
tenborn nahm mich sogleich als Hauptmann für den

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von Zichy den ſicherſten Anhalt fand, bei dem Staats¬
kanzler Freiherrn von Hardenberg die guͤnſtigſte Auf¬
nahme genoß, ja ſogar von dem Grafen von Saint-
Marſan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch
ungeachtet alles guten Anſcheins blieb ich in der ſchwie¬
rigſten und bedenklichſten Lage, gehemmt bei jedem
Schritt, in jeder Thaͤtigkeit. Obgleich in glanzvoller
Geſelligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein
Troſt war Rahel, in deren Naͤhe zu ſein mir alle
Widrigkeiten uͤberwog. Ein andrer Troſt erſchien, und
bildete ſich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der
Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der
Franzoſen verſtummten, die Nachricht von ihrem Ruͤck¬
zug und Verderben erſcholl, und dieſes endlich vor Au¬
gen erſchien in den jammervollen Truͤmmern des gro¬
ßen Heers. Die Ruſſen ruͤckten ſiegreich heran, uͤber¬
ſchritten die Oder und ſtanden ſchnell vor Berlin, wo
der Oberſt von Tettenborn mit ſeinen Koſaken im er¬
ſten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬
ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verſtaͤrkten
ruſſiſchen Truppen entſchieden einruͤckten.

Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬
fuͤhl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬
tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬
ralſtabe angeſtellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬
ſehens. Mein Verhaͤltniß war ſchnell entſchieden, Tet¬
tenborn nahm mich ſogleich als Hauptmann fuͤr den

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[211/0223] von Zichy den ſicherſten Anhalt fand, bei dem Staats¬ kanzler Freiherrn von Hardenberg die guͤnſtigſte Auf¬ nahme genoß, ja ſogar von dem Grafen von Saint- Marſan durch Einladungen ausgezeichnet wurde. Doch ungeachtet alles guten Anſcheins blieb ich in der ſchwie¬ rigſten und bedenklichſten Lage, gehemmt bei jedem Schritt, in jeder Thaͤtigkeit. Obgleich in glanzvoller Geſelligkeit, verlebte ich einen traurigen Winter. Mein Troſt war Rahel, in deren Naͤhe zu ſein mir alle Widrigkeiten uͤberwog. Ein andrer Troſt erſchien, und bildete ſich zu immer helleren Hoffnungen aus, als der Brand von Moskau kund wurde, die Siegesrufe der Franzoſen verſtummten, die Nachricht von ihrem Ruͤck¬ zug und Verderben erſcholl, und dieſes endlich vor Au¬ gen erſchien in den jammervollen Truͤmmern des gro¬ ßen Heers. Die Ruſſen ruͤckten ſiegreich heran, uͤber¬ ſchritten die Oder und ſtanden ſchnell vor Berlin, wo der Oberſt von Tettenborn mit ſeinen Koſaken im er¬ ſten Anlaufe den Feind einige Stunden durch die Stra¬ ßen jagte, nach wenigen Tagen aber die verſtaͤrkten ruſſiſchen Truppen entſchieden einruͤckten. Aus peinlichem Zwang aufathmend, im vollen Ge¬ fuͤhl der Freiheit und neuen Lebens eilte ich zu Tet¬ tenborn. Ich fand hier Pfuel als Major vom Gene¬ ralſtabe angeſtellt. Wir Alle freuten uns des Wieder¬ ſehens. Mein Verhaͤltniß war ſchnell entſchieden, Tet¬ tenborn nahm mich ſogleich als Hauptmann fuͤr den 14*

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/223>, abgerufen am 29.04.2024.