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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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Friedrich Schlegel, über Tieck, und Andere. Er meinte,
die deutschen Schriftsteller müßten sich immer nur an
das Volk, nicht an die vornehmen Stände halten, wo
schon alles verdorben und verloren sei; und hatte doch
eben Adam Müllern gerühmt, daß der es verstehe, ein
gründliches Wort an gebildete Weltleute zu bringen.
Er ist überzeugt, daß aus dem Aufschlusse der indischen
Welt für uns nichts zu gewinnen sei, als zu den vielen
Dichtungsgärten, die wir schon haben, noch einer mehr,
aber keine Ausbeute von Ideen; und doch lobte er einige
Minuten vorher Friedrich Schlegels Bemühungen mit
dem Sanskrit, als müsse ein neues Heil daraus her¬
vorgehen. Er hatte es nicht hehl, daß ein rechter Christ
ihm jetzt nur als ein protestantischer denkbar sei, daß
ihm eine wahre Verkehrtheit dünke, wenn ein Protestant
jetzt katholisch werde, und mit dieser Ansicht hatte sich
kurz vorher doch die größte Hoffnung vertragen, daß
der katholische Geist in Friedrich Schlegel mit dem in¬
dischen vereint viel Gutes wirken werde! Von Schleier¬
macher sprach er achtungsvoll, meinte aber doch, seinen
Platon könne er nicht recht genießen, und in Jacobi's
und Herder's Seelenschwunge glaubte er viel mehr von
jenem göttlichen alten Weisen zu spüren, als in allem
gelehrten Scharfsinne Schleiermachers, was ich freilich
nicht ohne starken Widerspruch durchlassen wollte. Fichte,
von dessen Reden an die deutsche Nation, gehalten in
Berlin unter dem Geräusch französischer Trommeln, ich

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Friedrich Schlegel, uͤber Tieck, und Andere. Er meinte,
die deutſchen Schriftſteller muͤßten ſich immer nur an
das Volk, nicht an die vornehmen Staͤnde halten, wo
ſchon alles verdorben und verloren ſei; und hatte doch
eben Adam Muͤllern geruͤhmt, daß der es verſtehe, ein
gruͤndliches Wort an gebildete Weltleute zu bringen.
Er iſt uͤberzeugt, daß aus dem Aufſchluſſe der indiſchen
Welt fuͤr uns nichts zu gewinnen ſei, als zu den vielen
Dichtungsgaͤrten, die wir ſchon haben, noch einer mehr,
aber keine Ausbeute von Ideen; und doch lobte er einige
Minuten vorher Friedrich Schlegels Bemuͤhungen mit
dem Sanskrit, als muͤſſe ein neues Heil daraus her¬
vorgehen. Er hatte es nicht hehl, daß ein rechter Chriſt
ihm jetzt nur als ein proteſtantiſcher denkbar ſei, daß
ihm eine wahre Verkehrtheit duͤnke, wenn ein Proteſtant
jetzt katholiſch werde, und mit dieſer Anſicht hatte ſich
kurz vorher doch die groͤßte Hoffnung vertragen, daß
der katholiſche Geiſt in Friedrich Schlegel mit dem in¬
diſchen vereint viel Gutes wirken werde! Von Schleier¬
macher ſprach er achtungsvoll, meinte aber doch, ſeinen
Platon koͤnne er nicht recht genießen, und in Jacobi's
und Herder's Seelenſchwunge glaubte er viel mehr von
jenem goͤttlichen alten Weiſen zu ſpuͤren, als in allem
gelehrten Scharfſinne Schleiermachers, was ich freilich
nicht ohne ſtarken Widerſpruch durchlaſſen wollte. Fichte,
von deſſen Reden an die deutſche Nation, gehalten in
Berlin unter dem Geraͤuſch franzoͤſiſcher Trommeln, ich

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[67/0079] Friedrich Schlegel, uͤber Tieck, und Andere. Er meinte, die deutſchen Schriftſteller muͤßten ſich immer nur an das Volk, nicht an die vornehmen Staͤnde halten, wo ſchon alles verdorben und verloren ſei; und hatte doch eben Adam Muͤllern geruͤhmt, daß der es verſtehe, ein gruͤndliches Wort an gebildete Weltleute zu bringen. Er iſt uͤberzeugt, daß aus dem Aufſchluſſe der indiſchen Welt fuͤr uns nichts zu gewinnen ſei, als zu den vielen Dichtungsgaͤrten, die wir ſchon haben, noch einer mehr, aber keine Ausbeute von Ideen; und doch lobte er einige Minuten vorher Friedrich Schlegels Bemuͤhungen mit dem Sanskrit, als muͤſſe ein neues Heil daraus her¬ vorgehen. Er hatte es nicht hehl, daß ein rechter Chriſt ihm jetzt nur als ein proteſtantiſcher denkbar ſei, daß ihm eine wahre Verkehrtheit duͤnke, wenn ein Proteſtant jetzt katholiſch werde, und mit dieſer Anſicht hatte ſich kurz vorher doch die groͤßte Hoffnung vertragen, daß der katholiſche Geiſt in Friedrich Schlegel mit dem in¬ diſchen vereint viel Gutes wirken werde! Von Schleier¬ macher ſprach er achtungsvoll, meinte aber doch, ſeinen Platon koͤnne er nicht recht genießen, und in Jacobi's und Herder's Seelenſchwunge glaubte er viel mehr von jenem goͤttlichen alten Weiſen zu ſpuͤren, als in allem gelehrten Scharfſinne Schleiermachers, was ich freilich nicht ohne ſtarken Widerſpruch durchlaſſen wollte. Fichte, von deſſen Reden an die deutſche Nation, gehalten in Berlin unter dem Geraͤuſch franzoͤſiſcher Trommeln, ich 5*

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/79>, abgerufen am 30.04.2024.