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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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von Dragonern zurückgebliebene Mädchen -- wie die Wirthin
sie erklärte -- und eine Societät Krob! Wie eitel waren sie,
wie vergnügt, wie redselig, wie ennuyirt und wollend; Einer
mit schnarrender Sprache nahm das Wort, und erzählte ihnen
mit Gewalt Anekdoten; sie hörten sie nur mit Geduld. Kurz,
wie in einem Salon: nur mit Schmutz überzogen. Wir aßen
in einer zweiten Stube; Braten, Kuchen, Bier. Ich trank
Kaffee vorher. Die Wirthin schien vernünftig, ein sehr hüb-
sches Mädchen wartete auf, blond mit kurzer Nase; und son-
derbar stach ihre Traurigkeit zu dieser überaus muntern Bil-
dung ab. Sie sagte mir, sie sei nicht traurig. Aber blieb so.
Sehr guter Kaffee; und gutes Bier. -- Auch in diesem klei-
nen Hause bemerkte ich mehr Wohlstand und Aufwartung als
sonst: die Wirthin schien sehr zufrieden mit ihrem Unglück.
Um halb 9 fuhren wir bei den schönsten Sternen auf der wei-
ßen Chaussee im stärksten Trabe ab, und so blieb's, und war
durchaus nicht finster. Gemachter Weg ist der größte Landes-
segen, er leuchtet sogar. -- Als wir so viel gefahren waren,
daß ich dachte, wir hätten bald eine Meile zurückgelegt, sah
der Postillon nach dem Hinterrade; ich frug gleich. "Das ist
weg!" sagte er, alle Speichen waren zerbrochen. -- Nach
einer Viertelstunde kam uns ein leerer Postwagen entgegen,
wir beide stiegen in Heu, denn es war ein kompleter lieber
Bauerwagen; und fuhren voraus nach Brandenburg. Schade!
daß es nicht länger dauerte, denn nun war es erst schön.
Das Heu roch nach allen guten Kräutern und nach Pfeffer-
münze, wir lagen beinah darin, wie frei, wie schön, wie nächt-
lich, wie bequem. Wir kamen in einer Viertelstunde nach

von Dragonern zurückgebliebene Mädchen — wie die Wirthin
ſie erklärte — und eine Societät Krob! Wie eitel waren ſie,
wie vergnügt, wie redſelig, wie ennuyirt und wollend; Einer
mit ſchnarrender Sprache nahm das Wort, und erzählte ihnen
mit Gewalt Anekdoten; ſie hörten ſie nur mit Geduld. Kurz,
wie in einem Salon: nur mit Schmutz überzogen. Wir aßen
in einer zweiten Stube; Braten, Kuchen, Bier. Ich trank
Kaffee vorher. Die Wirthin ſchien vernünftig, ein ſehr hüb-
ſches Mädchen wartete auf, blond mit kurzer Naſe; und ſon-
derbar ſtach ihre Traurigkeit zu dieſer überaus muntern Bil-
dung ab. Sie ſagte mir, ſie ſei nicht traurig. Aber blieb ſo.
Sehr guter Kaffee; und gutes Bier. — Auch in dieſem klei-
nen Hauſe bemerkte ich mehr Wohlſtand und Aufwartung als
ſonſt: die Wirthin ſchien ſehr zufrieden mit ihrem Unglück.
Um halb 9 fuhren wir bei den ſchönſten Sternen auf der wei-
ßen Chauſſee im ſtärkſten Trabe ab, und ſo blieb’s, und war
durchaus nicht finſter. Gemachter Weg iſt der größte Landes-
ſegen, er leuchtet ſogar. — Als wir ſo viel gefahren waren,
daß ich dachte, wir hätten bald eine Meile zurückgelegt, ſah
der Poſtillon nach dem Hinterrade; ich frug gleich. „Das iſt
weg!“ ſagte er, alle Speichen waren zerbrochen. — Nach
einer Viertelſtunde kam uns ein leerer Poſtwagen entgegen,
wir beide ſtiegen in Heu, denn es war ein kompleter lieber
Bauerwagen; und fuhren voraus nach Brandenburg. Schade!
daß es nicht länger dauerte, denn nun war es erſt ſchön.
Das Heu roch nach allen guten Kräutern und nach Pfeffer-
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lich, wie bequem. Wir kamen in einer Viertelſtunde nach

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[346/0360] von Dragonern zurückgebliebene Mädchen — wie die Wirthin ſie erklärte — und eine Societät Krob! Wie eitel waren ſie, wie vergnügt, wie redſelig, wie ennuyirt und wollend; Einer mit ſchnarrender Sprache nahm das Wort, und erzählte ihnen mit Gewalt Anekdoten; ſie hörten ſie nur mit Geduld. Kurz, wie in einem Salon: nur mit Schmutz überzogen. Wir aßen in einer zweiten Stube; Braten, Kuchen, Bier. Ich trank Kaffee vorher. Die Wirthin ſchien vernünftig, ein ſehr hüb- ſches Mädchen wartete auf, blond mit kurzer Naſe; und ſon- derbar ſtach ihre Traurigkeit zu dieſer überaus muntern Bil- dung ab. Sie ſagte mir, ſie ſei nicht traurig. Aber blieb ſo. Sehr guter Kaffee; und gutes Bier. — Auch in dieſem klei- nen Hauſe bemerkte ich mehr Wohlſtand und Aufwartung als ſonſt: die Wirthin ſchien ſehr zufrieden mit ihrem Unglück. Um halb 9 fuhren wir bei den ſchönſten Sternen auf der wei- ßen Chauſſee im ſtärkſten Trabe ab, und ſo blieb’s, und war durchaus nicht finſter. Gemachter Weg iſt der größte Landes- ſegen, er leuchtet ſogar. — Als wir ſo viel gefahren waren, daß ich dachte, wir hätten bald eine Meile zurückgelegt, ſah der Poſtillon nach dem Hinterrade; ich frug gleich. „Das iſt weg!“ ſagte er, alle Speichen waren zerbrochen. — Nach einer Viertelſtunde kam uns ein leerer Poſtwagen entgegen, wir beide ſtiegen in Heu, denn es war ein kompleter lieber Bauerwagen; und fuhren voraus nach Brandenburg. Schade! daß es nicht länger dauerte, denn nun war es erſt ſchön. Das Heu roch nach allen guten Kräutern und nach Pfeffer- münze, wir lagen beinah darin, wie frei, wie ſchön, wie nächt- lich, wie bequem. Wir kamen in einer Viertelſtunde nach

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/360>, abgerufen am 26.04.2024.