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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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sich anzueignen Fähigkeit und Neigung haben möchten. Sie
ließen anfangs manchen Zweifel und Unglauben spielen, der
mich scherzend verwirren sollte, mußten aber bald den Ernst
meiner Überzeugung erkennen, und sich zuletzt der durch hun-
dert unabweisliche Zeugnisse sprechenden Geistesmacht beugen.
Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begreifen,
wie Rahel und ich uns auf die Dauer verstehen könnten,
meinte jedoch lächelnd, interessant und original würde ich nach-
her nicht leicht eine Frau mehr finden. Ein hartnäckiger Wi-
dersacher blieb mir Harscher, wiewohl ich grade ihm die ein-
dringlichsten und häufigsten Mittheilungen machte. Er war
sehr fähig anzuerkennen und zu bewundern, und zeigte sich oft
ganz hingerissen von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich
ihm berichtete, so daß er die Andern schalt und beschämte,
welche bei ihm Tadel und Widerspruch gehofft hatten, und
es gab wohl Fälle, wo er staunend ausrief: "Hier ist alle
Tiefe der Schleiermacher'schen Ethik, was sag' ich? hier ist mehr
als Schleiermacher, denn hier ist die Wissenschaft in Form
des Lebens selbst!" Doch dergleichen Entflammung dauerte
nicht lange, sondern gab unvermerkt wieder einem Mißwollen
und einer Übellaune Raum, welche tief in seinem Gemüthe
lagen, und gegen ein so freies und gesundes Wesen, wie sich
in Rahel darstellte, um so bitterer ausbrachen, als dies mit
seinem krankhaften und zerknitterten im hellsten Gegensatze
war. Er konnte etwas so Selbstständiges, aus dem Ganzen
Lebendes, und, ohne Kunst und Anstrengung, Wahrheit und
Schönheit Produzirendes schlechterdings nicht vertragen, ja
eine Art Neid und Eifersucht ergriff ihn, und er wandte al-

ſich anzueignen Fähigkeit und Neigung haben möchten. Sie
ließen anfangs manchen Zweifel und Unglauben ſpielen, der
mich ſcherzend verwirren ſollte, mußten aber bald den Ernſt
meiner Überzeugung erkennen, und ſich zuletzt der durch hun-
dert unabweisliche Zeugniſſe ſprechenden Geiſtesmacht beugen.
Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begreifen,
wie Rahel und ich uns auf die Dauer verſtehen könnten,
meinte jedoch lächelnd, intereſſant und original würde ich nach-
her nicht leicht eine Frau mehr finden. Ein hartnäckiger Wi-
derſacher blieb mir Harſcher, wiewohl ich grade ihm die ein-
dringlichſten und häufigſten Mittheilungen machte. Er war
ſehr fähig anzuerkennen und zu bewundern, und zeigte ſich oft
ganz hingeriſſen von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich
ihm berichtete, ſo daß er die Andern ſchalt und beſchämte,
welche bei ihm Tadel und Widerſpruch gehofft hatten, und
es gab wohl Fälle, wo er ſtaunend ausrief: „Hier iſt alle
Tiefe der Schleiermacher’ſchen Ethik, was ſag’ ich? hier iſt mehr
als Schleiermacher, denn hier iſt die Wiſſenſchaft in Form
des Lebens ſelbſt!“ Doch dergleichen Entflammung dauerte
nicht lange, ſondern gab unvermerkt wieder einem Mißwollen
und einer Übellaune Raum, welche tief in ſeinem Gemüthe
lagen, und gegen ein ſo freies und geſundes Weſen, wie ſich
in Rahel darſtellte, um ſo bitterer ausbrachen, als dies mit
ſeinem krankhaften und zerknitterten im hellſten Gegenſatze
war. Er konnte etwas ſo Selbſtſtändiges, aus dem Ganzen
Lebendes, und, ohne Kunſt und Anſtrengung, Wahrheit und
Schönheit Produzirendes ſchlechterdings nicht vertragen, ja
eine Art Neid und Eiferſucht ergriff ihn, und er wandte al-

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[24/0038] ſich anzueignen Fähigkeit und Neigung haben möchten. Sie ließen anfangs manchen Zweifel und Unglauben ſpielen, der mich ſcherzend verwirren ſollte, mußten aber bald den Ernſt meiner Überzeugung erkennen, und ſich zuletzt der durch hun- dert unabweisliche Zeugniſſe ſprechenden Geiſtesmacht beugen. Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begreifen, wie Rahel und ich uns auf die Dauer verſtehen könnten, meinte jedoch lächelnd, intereſſant und original würde ich nach- her nicht leicht eine Frau mehr finden. Ein hartnäckiger Wi- derſacher blieb mir Harſcher, wiewohl ich grade ihm die ein- dringlichſten und häufigſten Mittheilungen machte. Er war ſehr fähig anzuerkennen und zu bewundern, und zeigte ſich oft ganz hingeriſſen von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich ihm berichtete, ſo daß er die Andern ſchalt und beſchämte, welche bei ihm Tadel und Widerſpruch gehofft hatten, und es gab wohl Fälle, wo er ſtaunend ausrief: „Hier iſt alle Tiefe der Schleiermacher’ſchen Ethik, was ſag’ ich? hier iſt mehr als Schleiermacher, denn hier iſt die Wiſſenſchaft in Form des Lebens ſelbſt!“ Doch dergleichen Entflammung dauerte nicht lange, ſondern gab unvermerkt wieder einem Mißwollen und einer Übellaune Raum, welche tief in ſeinem Gemüthe lagen, und gegen ein ſo freies und geſundes Weſen, wie ſich in Rahel darſtellte, um ſo bitterer ausbrachen, als dies mit ſeinem krankhaften und zerknitterten im hellſten Gegenſatze war. Er konnte etwas ſo Selbſtſtändiges, aus dem Ganzen Lebendes, und, ohne Kunſt und Anſtrengung, Wahrheit und Schönheit Produzirendes ſchlechterdings nicht vertragen, ja eine Art Neid und Eiferſucht ergriff ihn, und er wandte al-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/38>, abgerufen am 29.04.2024.