Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ist, das kehre hervor mit deinen göttlichen Worten. Nennen
kann ich es noch nicht: aber du hast ein einziges Talent.
Warum verstehst du die unverständlichsten Zustände und Re-
gungen in dir, die wetterartigsten, mir, in farbenreichen, hel-
len, hervorspringenden, immer schön- und kunstreichen Wor-
ten darzustellen. So behandle Welt, Publikum, Papier, wenn
du dichtest. Ich bin's gewiß, dann wird's einzig gut. Nur
dies ehrst, vergötterst du, die Welt, und ich, in Goethe,
Shakespeare, Cervantes, und in allen Großen; daß es sich
darstellt; noch Einmal wie es die Natur that; je reicher, je
mehr Welt darin enthalten! und dann irren die schwachen
Leser und Seher; und denken, es ist nur die Welt, die dar-
gestellt ist. Mit nichten! Schwache Nachahmer vergessen
aber sich; und wollen eine Welt ohne sich darstellen. Solche
giebt es nicht! Jeder sicht mit seinen Augen, lebt mit seinen
Sinnen eine Physionomie hinein. Ich weiß, hiervon bist du
durchdrungen; und hast mir, ich besinne mich nur nicht, wo
und wie, was Ähnliches gesagt. Du hast eine solche Einsicht
in dein Wesen, welche vielleicht noch nie ein Mensch deiner
Art, und wie du dich schilderst und findest, gehabt hat: du
bist so ehrlich, mit Anlagen es nicht zu sein; daß es ein Wun-
der -- nicht moralisch genommen -- ist. Dies allein muß
dein Talent originalisiren auf eine Weise, wie es vielleicht
noch nie geschah, und schassen, wie es noch nie keins gab.
Denn dazu gehören bestimmte Talente; bestimmte Akkorde
von Gaben. Diese Überzeugung raubt mir nichts! denn ich
sehe es, wie ich dein Gesicht sehe. Auch hierin ist nicht
Stärke und abgesondertes Wesen auf die gewöhnliche Weise

iſt, das kehre hervor mit deinen göttlichen Worten. Nennen
kann ich es noch nicht: aber du haſt ein einziges Talent.
Warum verſtehſt du die unverſtändlichſten Zuſtände und Re-
gungen in dir, die wetterartigſten, mir, in farbenreichen, hel-
len, hervorſpringenden, immer ſchön- und kunſtreichen Wor-
ten darzuſtellen. So behandle Welt, Publikum, Papier, wenn
du dichteſt. Ich bin’s gewiß, dann wird’s einzig gut. Nur
dies ehrſt, vergötterſt du, die Welt, und ich, in Goethe,
Shakeſpeare, Cervantes, und in allen Großen; daß es ſich
darſtellt; noch Einmal wie es die Natur that; je reicher, je
mehr Welt darin enthalten! und dann irren die ſchwachen
Leſer und Seher; und denken, es iſt nur die Welt, die dar-
geſtellt iſt. Mit nichten! Schwache Nachahmer vergeſſen
aber ſich; und wollen eine Welt ohne ſich darſtellen. Solche
giebt es nicht! Jeder ſicht mit ſeinen Augen, lebt mit ſeinen
Sinnen eine Phyſionomie hinein. Ich weiß, hiervon biſt du
durchdrungen; und haſt mir, ich beſinne mich nur nicht, wo
und wie, was Ähnliches geſagt. Du haſt eine ſolche Einſicht
in dein Weſen, welche vielleicht noch nie ein Menſch deiner
Art, und wie du dich ſchilderſt und findeſt, gehabt hat: du
biſt ſo ehrlich, mit Anlagen es nicht zu ſein; daß es ein Wun-
der — nicht moraliſch genommen — iſt. Dies allein muß
dein Talent originaliſiren auf eine Weiſe, wie es vielleicht
noch nie geſchah, und ſchaſſen, wie es noch nie keins gab.
Denn dazu gehören beſtimmte Talente; beſtimmte Akkorde
von Gaben. Dieſe Überzeugung raubt mir nichts! denn ich
ſehe es, wie ich dein Geſicht ſehe. Auch hierin iſt nicht
Stärke und abgeſondertes Weſen auf die gewöhnliche Weiſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0389" n="375"/>
i&#x017F;t, das kehre hervor mit deinen göttlichen Worten. Nennen<lb/>
kann ich es noch nicht: aber du ha&#x017F;t ein einziges Talent.<lb/>
Warum ver&#x017F;teh&#x017F;t du die unver&#x017F;tändlich&#x017F;ten Zu&#x017F;tände und Re-<lb/>
gungen in dir, die wetterartig&#x017F;ten, mir, in farbenreichen, hel-<lb/>
len, hervor&#x017F;pringenden, immer &#x017F;chön- und kun&#x017F;treichen Wor-<lb/>
ten darzu&#x017F;tellen. So behandle Welt, Publikum, Papier, wenn<lb/>
du dichte&#x017F;t. Ich bin&#x2019;s gewiß, dann wird&#x2019;s einzig gut. Nur<lb/>
dies ehr&#x017F;t, vergötter&#x017F;t du, die Welt, und ich, in Goethe,<lb/>
Shake&#x017F;peare, Cervantes, und in allen Großen; daß es &#x017F;ich<lb/>
dar&#x017F;tellt; noch Einmal wie es die Natur that; je reicher, je<lb/>
mehr Welt darin enthalten! und dann irren die &#x017F;chwachen<lb/>
Le&#x017F;er und Seher; und denken, es <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> nur die Welt, die dar-<lb/>
ge&#x017F;tellt i&#x017F;t. Mit nichten! Schwache <hi rendition="#g">Nachahmer</hi> verge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
aber &#x017F;ich; und wollen eine Welt ohne <hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> dar&#x017F;tellen. Solche<lb/>
giebt es nicht! Jeder &#x017F;icht mit &#x017F;einen Augen, lebt mit &#x017F;einen<lb/>
Sinnen eine Phy&#x017F;ionomie hinein. Ich weiß, hiervon bi&#x017F;t du<lb/>
durchdrungen; und ha&#x017F;t mir, ich be&#x017F;inne mich nur nicht, wo<lb/>
und wie, was Ähnliches ge&#x017F;agt. Du ha&#x017F;t eine &#x017F;olche Ein&#x017F;icht<lb/>
in dein We&#x017F;en, welche vielleicht noch nie ein Men&#x017F;ch deiner<lb/>
Art, und wie du dich &#x017F;childer&#x017F;t und finde&#x017F;t, gehabt hat: du<lb/>
bi&#x017F;t &#x017F;o ehrlich, mit Anlagen es nicht zu &#x017F;ein; daß es ein Wun-<lb/>
der &#x2014; nicht morali&#x017F;ch genommen &#x2014; i&#x017F;t. Dies allein muß<lb/>
dein Talent originali&#x017F;iren auf eine Wei&#x017F;e, wie es vielleicht<lb/>
noch nie ge&#x017F;chah, und &#x017F;cha&#x017F;&#x017F;en, wie es noch nie keins gab.<lb/>
Denn dazu gehören be&#x017F;timmte Talente; be&#x017F;timmte Akkorde<lb/>
von Gaben. Die&#x017F;e Überzeugung raubt mir nichts! denn ich<lb/>
&#x017F;ehe es, wie ich dein Ge&#x017F;icht &#x017F;ehe. Auch hierin i&#x017F;t nicht<lb/>
Stärke und abge&#x017F;ondertes We&#x017F;en auf die gewöhnliche Wei&#x017F;e<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0389] iſt, das kehre hervor mit deinen göttlichen Worten. Nennen kann ich es noch nicht: aber du haſt ein einziges Talent. Warum verſtehſt du die unverſtändlichſten Zuſtände und Re- gungen in dir, die wetterartigſten, mir, in farbenreichen, hel- len, hervorſpringenden, immer ſchön- und kunſtreichen Wor- ten darzuſtellen. So behandle Welt, Publikum, Papier, wenn du dichteſt. Ich bin’s gewiß, dann wird’s einzig gut. Nur dies ehrſt, vergötterſt du, die Welt, und ich, in Goethe, Shakeſpeare, Cervantes, und in allen Großen; daß es ſich darſtellt; noch Einmal wie es die Natur that; je reicher, je mehr Welt darin enthalten! und dann irren die ſchwachen Leſer und Seher; und denken, es iſt nur die Welt, die dar- geſtellt iſt. Mit nichten! Schwache Nachahmer vergeſſen aber ſich; und wollen eine Welt ohne ſich darſtellen. Solche giebt es nicht! Jeder ſicht mit ſeinen Augen, lebt mit ſeinen Sinnen eine Phyſionomie hinein. Ich weiß, hiervon biſt du durchdrungen; und haſt mir, ich beſinne mich nur nicht, wo und wie, was Ähnliches geſagt. Du haſt eine ſolche Einſicht in dein Weſen, welche vielleicht noch nie ein Menſch deiner Art, und wie du dich ſchilderſt und findeſt, gehabt hat: du biſt ſo ehrlich, mit Anlagen es nicht zu ſein; daß es ein Wun- der — nicht moraliſch genommen — iſt. Dies allein muß dein Talent originaliſiren auf eine Weiſe, wie es vielleicht noch nie geſchah, und ſchaſſen, wie es noch nie keins gab. Denn dazu gehören beſtimmte Talente; beſtimmte Akkorde von Gaben. Dieſe Überzeugung raubt mir nichts! denn ich ſehe es, wie ich dein Geſicht ſehe. Auch hierin iſt nicht Stärke und abgeſondertes Weſen auf die gewöhnliche Weiſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/389
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/389>, abgerufen am 28.04.2024.