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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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durch die breiten bäumereichen Straßen des damals überaus
stillen Ortes, längs des Ufers der Spree und über die Brücke,
diese Reize der Örtlichkeit, oft noch erhöht durch die Pracht
des Mond- und Sternenhimmels, sind mir in der Erinnerung
unauflöslich verwebt mit den erhebendsten Geistesflügen und
den zartesten Schwingungen des erregten Gemüths, welches
denn doch zugleich leidenschaftlichen Spannungen und geselli-
gem Widerstreite genugsam eröffnet blieb, und daher von sen-
timentaler Verweichlichung gar nicht bedroht war." -- -- --

"Theils mit sich selber als mächtiger Gegenwart erfüllt,
theils zur unbestimmten Zukunft gewaltsam hinausstrebend,
war die schöne Sommerzeit verflossen, und während der Fe-
rien mußten die Entscheidungen ausgeführt werden, welche
wir gefaßt hatten. Jemehr der Zeitpunkt der Trennung heran-
nahte, desto inniger fühlten Rahel und ich den Werth und
das Glück unsrer Verbindung. Wir suchten den Schmerz
durch Geistesstärke zu verscheuchen, aber mitten in aller Freu-
digkeit, daß wir noch zusammen ein Glück empfanden, dem
auch die Trennung sein Wesen lassen mußte, überschlich uns
die trauervollste Wehmuth. Es schien Thorheit, Wahnsinn,
daß wir uns trennten, und doch blieben die gefaßten Vorsätze
unverändert, und durchaus einwilligend stimmte Rahel mir
bei. Wir hatten den Muth, uns zu trennen, gestärkt durch
die Kraft des Zusammenseins. Meine Lebensentwicklung war
noch unvollständig sogar in ihren Umrissen, deren Gestalt sich
abschließen, sich nach vielen Seiten über viele Lücken hin er-
gänzen mußte. Wie hätte ich bleiben sollen, in welcher Stel-
lung, in welcher Richtung? Der strebenden Thätigkeit hätte

durch die breiten bäumereichen Straßen des damals überaus
ſtillen Ortes, längs des Ufers der Spree und über die Brücke,
dieſe Reize der Örtlichkeit, oft noch erhöht durch die Pracht
des Mond- und Sternenhimmels, ſind mir in der Erinnerung
unauflöslich verwebt mit den erhebendſten Geiſtesflügen und
den zarteſten Schwingungen des erregten Gemüths, welches
denn doch zugleich leidenſchaftlichen Spannungen und geſelli-
gem Widerſtreite genugſam eröffnet blieb, und daher von ſen-
timentaler Verweichlichung gar nicht bedroht war.“ — — —

„Theils mit ſich ſelber als mächtiger Gegenwart erfüllt,
theils zur unbeſtimmten Zukunft gewaltſam hinausſtrebend,
war die ſchöne Sommerzeit verfloſſen, und während der Fe-
rien mußten die Entſcheidungen ausgeführt werden, welche
wir gefaßt hatten. Jemehr der Zeitpunkt der Trennung heran-
nahte, deſto inniger fühlten Rahel und ich den Werth und
das Glück unſrer Verbindung. Wir ſuchten den Schmerz
durch Geiſtesſtärke zu verſcheuchen, aber mitten in aller Freu-
digkeit, daß wir noch zuſammen ein Glück empfanden, dem
auch die Trennung ſein Weſen laſſen mußte, überſchlich uns
die trauervollſte Wehmuth. Es ſchien Thorheit, Wahnſinn,
daß wir uns trennten, und doch blieben die gefaßten Vorſätze
unverändert, und durchaus einwilligend ſtimmte Rahel mir
bei. Wir hatten den Muth, uns zu trennen, geſtärkt durch
die Kraft des Zuſammenſeins. Meine Lebensentwicklung war
noch unvollſtändig ſogar in ihren Umriſſen, deren Geſtalt ſich
abſchließen, ſich nach vielen Seiten über viele Lücken hin er-
gänzen mußte. Wie hätte ich bleiben ſollen, in welcher Stel-
lung, in welcher Richtung? Der ſtrebenden Thätigkeit hätte

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[26/0040] durch die breiten bäumereichen Straßen des damals überaus ſtillen Ortes, längs des Ufers der Spree und über die Brücke, dieſe Reize der Örtlichkeit, oft noch erhöht durch die Pracht des Mond- und Sternenhimmels, ſind mir in der Erinnerung unauflöslich verwebt mit den erhebendſten Geiſtesflügen und den zarteſten Schwingungen des erregten Gemüths, welches denn doch zugleich leidenſchaftlichen Spannungen und geſelli- gem Widerſtreite genugſam eröffnet blieb, und daher von ſen- timentaler Verweichlichung gar nicht bedroht war.“ — — — „Theils mit ſich ſelber als mächtiger Gegenwart erfüllt, theils zur unbeſtimmten Zukunft gewaltſam hinausſtrebend, war die ſchöne Sommerzeit verfloſſen, und während der Fe- rien mußten die Entſcheidungen ausgeführt werden, welche wir gefaßt hatten. Jemehr der Zeitpunkt der Trennung heran- nahte, deſto inniger fühlten Rahel und ich den Werth und das Glück unſrer Verbindung. Wir ſuchten den Schmerz durch Geiſtesſtärke zu verſcheuchen, aber mitten in aller Freu- digkeit, daß wir noch zuſammen ein Glück empfanden, dem auch die Trennung ſein Weſen laſſen mußte, überſchlich uns die trauervollſte Wehmuth. Es ſchien Thorheit, Wahnſinn, daß wir uns trennten, und doch blieben die gefaßten Vorſätze unverändert, und durchaus einwilligend ſtimmte Rahel mir bei. Wir hatten den Muth, uns zu trennen, geſtärkt durch die Kraft des Zuſammenſeins. Meine Lebensentwicklung war noch unvollſtändig ſogar in ihren Umriſſen, deren Geſtalt ſich abſchließen, ſich nach vielen Seiten über viele Lücken hin er- gänzen mußte. Wie hätte ich bleiben ſollen, in welcher Stel- lung, in welcher Richtung? Der ſtrebenden Thätigkeit hätte

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/40>, abgerufen am 29.04.2024.