Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

selber wahr gewesen. Allein er bestand nur als Zufälliges,
und war in allem Wesentlichen aufgehoben und vernichtet.
Dieses edle Leben, dem schon so mannigfache Weltanschauung
geworden, ein so großer Reichthum von Glücks- und Leidens-
loosen zugetheilt gewesen, dieses Leben erschien unzerstörbar
jung und kräftig, nicht nur von Seiten des mächtigen Gei-
stes, der in freier Höhe über den Tageswogen schwebte, son-
dern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche
Dasein, waren wie in frische Klarheit getaucht, und die reinste,
erquickendste Gegenwart stand herrschend mitteninne zwischen
erfüllter Vergangenheit und hoffnungsreicher Zukunft. Eine
dauernde Vereinigung mußte uns jedoch damals noch versagt
sein. Meine Universitätsjahre waren noch nicht abgelaufen,
der Versuch in das bürgerliche Leben einzutreten durfte nicht
unterbleiben, und kaum an der Schwelle von diesem sah ich
mich durch innere Unruhe und den Drang der Zeiten zu dem
mannigfachsten Wechsel der Verhältnisse fortgerissen. Zwei-
maliger Kriegsdienst, Reisen, Zerstreuung in glänzender Welt,
Lockungen des Ehrgeizes, Neigungen und Mißverständnisse,
zu welchen die langwierige Entfernung Anlaß geben wollte,
nichts konnte jemals in meinem Innern das feste Band berüh-
ren, das mich mit Rahel verknüpft hielt, die tiefe Überzeu-
gung, daß ich mein Lebensglück gefunden wisse, erschüttern,
und das unermüdete Hinstreben zu diesem Ziel auch nur einen
Augenblick schwächen. Sechs Jahre vergingen auf diese Weise,
nur unterbrochen durch kurze Zeiten des Wiedersehens, in wel-
chen die Vorsätze und Hoffnungen sich neu bestärkten. End-
lich, nach erfolgtem Umschwunge der allgemeinen Verhältnisse,

ſelber wahr geweſen. Allein er beſtand nur als Zufälliges,
und war in allem Weſentlichen aufgehoben und vernichtet.
Dieſes edle Leben, dem ſchon ſo mannigfache Weltanſchauung
geworden, ein ſo großer Reichthum von Glücks- und Leidens-
looſen zugetheilt geweſen, dieſes Leben erſchien unzerſtörbar
jung und kräftig, nicht nur von Seiten des mächtigen Gei-
ſtes, der in freier Höhe über den Tageswogen ſchwebte, ſon-
dern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche
Daſein, waren wie in friſche Klarheit getaucht, und die reinſte,
erquickendſte Gegenwart ſtand herrſchend mitteninne zwiſchen
erfüllter Vergangenheit und hoffnungsreicher Zukunft. Eine
dauernde Vereinigung mußte uns jedoch damals noch verſagt
ſein. Meine Univerſitätsjahre waren noch nicht abgelaufen,
der Verſuch in das bürgerliche Leben einzutreten durfte nicht
unterbleiben, und kaum an der Schwelle von dieſem ſah ich
mich durch innere Unruhe und den Drang der Zeiten zu dem
mannigfachſten Wechſel der Verhältniſſe fortgeriſſen. Zwei-
maliger Kriegsdienſt, Reiſen, Zerſtreuung in glänzender Welt,
Lockungen des Ehrgeizes, Neigungen und Mißverſtändniſſe,
zu welchen die langwierige Entfernung Anlaß geben wollte,
nichts konnte jemals in meinem Innern das feſte Band berüh-
ren, das mich mit Rahel verknüpft hielt, die tiefe Überzeu-
gung, daß ich mein Lebensglück gefunden wiſſe, erſchüttern,
und das unermüdete Hinſtreben zu dieſem Ziel auch nur einen
Augenblick ſchwächen. Sechs Jahre vergingen auf dieſe Weiſe,
nur unterbrochen durch kurze Zeiten des Wiederſehens, in wel-
chen die Vorſätze und Hoffnungen ſich neu beſtärkten. End-
lich, nach erfolgtem Umſchwunge der allgemeinen Verhältniſſe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0042" n="28"/>
&#x017F;elber wahr gewe&#x017F;en. Allein er be&#x017F;tand nur als Zufälliges,<lb/>
und war in allem We&#x017F;entlichen aufgehoben und vernichtet.<lb/>
Die&#x017F;es edle Leben, dem &#x017F;chon &#x017F;o mannigfache Weltan&#x017F;chauung<lb/>
geworden, ein &#x017F;o großer Reichthum von Glücks- und Leidens-<lb/>
loo&#x017F;en zugetheilt gewe&#x017F;en, die&#x017F;es Leben er&#x017F;chien unzer&#x017F;törbar<lb/>
jung und kräftig, nicht nur von Seiten des mächtigen Gei-<lb/>
&#x017F;tes, der in freier Höhe über den Tageswogen &#x017F;chwebte, &#x017F;on-<lb/>
dern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche<lb/>
Da&#x017F;ein, waren wie in fri&#x017F;che Klarheit getaucht, und die rein&#x017F;te,<lb/>
erquickend&#x017F;te Gegenwart &#x017F;tand herr&#x017F;chend mitteninne zwi&#x017F;chen<lb/>
erfüllter Vergangenheit und hoffnungsreicher Zukunft. Eine<lb/>
dauernde Vereinigung mußte uns jedoch damals noch ver&#x017F;agt<lb/>
&#x017F;ein. Meine Univer&#x017F;itätsjahre waren noch nicht abgelaufen,<lb/>
der Ver&#x017F;uch in das bürgerliche Leben einzutreten durfte nicht<lb/>
unterbleiben, und kaum an der Schwelle von die&#x017F;em &#x017F;ah ich<lb/>
mich durch innere Unruhe und den Drang der Zeiten zu dem<lb/>
mannigfach&#x017F;ten Wech&#x017F;el der Verhältni&#x017F;&#x017F;e fortgeri&#x017F;&#x017F;en. Zwei-<lb/>
maliger Kriegsdien&#x017F;t, Rei&#x017F;en, Zer&#x017F;treuung in glänzender Welt,<lb/>
Lockungen des Ehrgeizes, Neigungen und Mißver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
zu welchen die langwierige Entfernung Anlaß geben wollte,<lb/>
nichts konnte jemals in meinem Innern das fe&#x017F;te Band berüh-<lb/>
ren, das mich mit Rahel verknüpft hielt, die tiefe Überzeu-<lb/>
gung, daß ich mein Lebensglück gefunden wi&#x017F;&#x017F;e, er&#x017F;chüttern,<lb/>
und das unermüdete Hin&#x017F;treben zu die&#x017F;em Ziel auch nur einen<lb/>
Augenblick &#x017F;chwächen. Sechs Jahre vergingen auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e,<lb/>
nur unterbrochen durch kurze Zeiten des Wieder&#x017F;ehens, in wel-<lb/>
chen die Vor&#x017F;ätze und Hoffnungen &#x017F;ich neu be&#x017F;tärkten. End-<lb/>
lich, nach erfolgtem Um&#x017F;chwunge der allgemeinen Verhältni&#x017F;&#x017F;e,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0042] ſelber wahr geweſen. Allein er beſtand nur als Zufälliges, und war in allem Weſentlichen aufgehoben und vernichtet. Dieſes edle Leben, dem ſchon ſo mannigfache Weltanſchauung geworden, ein ſo großer Reichthum von Glücks- und Leidens- looſen zugetheilt geweſen, dieſes Leben erſchien unzerſtörbar jung und kräftig, nicht nur von Seiten des mächtigen Gei- ſtes, der in freier Höhe über den Tageswogen ſchwebte, ſon- dern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche Daſein, waren wie in friſche Klarheit getaucht, und die reinſte, erquickendſte Gegenwart ſtand herrſchend mitteninne zwiſchen erfüllter Vergangenheit und hoffnungsreicher Zukunft. Eine dauernde Vereinigung mußte uns jedoch damals noch verſagt ſein. Meine Univerſitätsjahre waren noch nicht abgelaufen, der Verſuch in das bürgerliche Leben einzutreten durfte nicht unterbleiben, und kaum an der Schwelle von dieſem ſah ich mich durch innere Unruhe und den Drang der Zeiten zu dem mannigfachſten Wechſel der Verhältniſſe fortgeriſſen. Zwei- maliger Kriegsdienſt, Reiſen, Zerſtreuung in glänzender Welt, Lockungen des Ehrgeizes, Neigungen und Mißverſtändniſſe, zu welchen die langwierige Entfernung Anlaß geben wollte, nichts konnte jemals in meinem Innern das feſte Band berüh- ren, das mich mit Rahel verknüpft hielt, die tiefe Überzeu- gung, daß ich mein Lebensglück gefunden wiſſe, erſchüttern, und das unermüdete Hinſtreben zu dieſem Ziel auch nur einen Augenblick ſchwächen. Sechs Jahre vergingen auf dieſe Weiſe, nur unterbrochen durch kurze Zeiten des Wiederſehens, in wel- chen die Vorſätze und Hoffnungen ſich neu beſtärkten. End- lich, nach erfolgtem Umſchwunge der allgemeinen Verhältniſſe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/42
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/42>, abgerufen am 29.04.2024.