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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ren, aber unter entgegengesetzten Umständen sich befestigten,
und die Grundlage vieler späteren Krankheiten wurden. Eine
außerordentlich frühe Entwickelung der Gemüths- und Geistes-
kräfte begleitete den raschen Gang der körperlichen Ausbil-
dung. Die reizbarsten Nerven, die feinste Empfindlichkeit für
alle Verhältnisse der Luft und des Wetters, die leiseste und
schärfste Thätigkeit der Sinne, die erregbarste Theilnahme des
Herzens, alles wirkte vereint, um diese Organisation den un-
berechenbarsten Einflüssen zu überliefern, mit welchen sie fort-
während zu ringen hatte.

Dennoch erhob sich unter allem Widerstreite der Umstände
eine im Ganzen kräftige und gesunde Jugend. Dieselben
Gaben, welche empfänglich machten, wirkten auch lebhaft zu-
rück; die geistige Lebenskraft war überall so stärkend gegen-
wärtig, daß bei solcher Hülfe die Natur auch die größten
Bürden nur leicht zu tragen schien. Einzelne bedeutende
Krankheiten, von eigenthümlicher Gestalt und Heftigkeit,
wichen neubelebtem Wohlsein, und die hergestellten Kräfte durf-
ten getrost mit neuen Tagereihen neue Schickungen aufnehmen.

Erst in späteren Jahren, nach vielen Stürmen und Lei-
den, die dem feinen und zarten Gewebe dieses Körpers, in
welchem die Seele schon immer schwesterlich aushalf, aber
ihrerseits eine Stütze nicht wiederfand, endlich vielfache Be-
schädigung gebracht hatten, mußte die Gesundheit ein Gegen-
stand ernstlicher und ununterbrochener Sorgfalt werden; die
jedoch durch williges Selbstvergessen, wo es galt für Andre
thätig und liebreich zu sein, so wie durch unvermeidliche neue
Erschütterungen, nur allzu oft gestört wurde.


ren, aber unter entgegengeſetzten Umſtänden ſich befeſtigten,
und die Grundlage vieler ſpäteren Krankheiten wurden. Eine
außerordentlich frühe Entwickelung der Gemüths- und Geiſtes-
kräfte begleitete den raſchen Gang der körperlichen Ausbil-
dung. Die reizbarſten Nerven, die feinſte Empfindlichkeit für
alle Verhältniſſe der Luft und des Wetters, die leiſeſte und
ſchärfſte Thätigkeit der Sinne, die erregbarſte Theilnahme des
Herzens, alles wirkte vereint, um dieſe Organiſation den un-
berechenbarſten Einflüſſen zu überliefern, mit welchen ſie fort-
während zu ringen hatte.

Dennoch erhob ſich unter allem Widerſtreite der Umſtände
eine im Ganzen kräftige und geſunde Jugend. Dieſelben
Gaben, welche empfänglich machten, wirkten auch lebhaft zu-
rück; die geiſtige Lebenskraft war überall ſo ſtärkend gegen-
wärtig, daß bei ſolcher Hülfe die Natur auch die größten
Bürden nur leicht zu tragen ſchien. Einzelne bedeutende
Krankheiten, von eigenthümlicher Geſtalt und Heftigkeit,
wichen neubelebtem Wohlſein, und die hergeſtellten Kräfte durf-
ten getroſt mit neuen Tagereihen neue Schickungen aufnehmen.

Erſt in ſpäteren Jahren, nach vielen Stürmen und Lei-
den, die dem feinen und zarten Gewebe dieſes Körpers, in
welchem die Seele ſchon immer ſchweſterlich aushalf, aber
ihrerſeits eine Stütze nicht wiederfand, endlich vielfache Be-
ſchädigung gebracht hatten, mußte die Geſundheit ein Gegen-
ſtand ernſtlicher und ununterbrochener Sorgfalt werden; die
jedoch durch williges Selbſtvergeſſen, wo es galt für Andre
thätig und liebreich zu ſein, ſo wie durch unvermeidliche neue
Erſchütterungen, nur allzu oft geſtört wurde.


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[30/0044] ren, aber unter entgegengeſetzten Umſtänden ſich befeſtigten, und die Grundlage vieler ſpäteren Krankheiten wurden. Eine außerordentlich frühe Entwickelung der Gemüths- und Geiſtes- kräfte begleitete den raſchen Gang der körperlichen Ausbil- dung. Die reizbarſten Nerven, die feinſte Empfindlichkeit für alle Verhältniſſe der Luft und des Wetters, die leiſeſte und ſchärfſte Thätigkeit der Sinne, die erregbarſte Theilnahme des Herzens, alles wirkte vereint, um dieſe Organiſation den un- berechenbarſten Einflüſſen zu überliefern, mit welchen ſie fort- während zu ringen hatte. Dennoch erhob ſich unter allem Widerſtreite der Umſtände eine im Ganzen kräftige und geſunde Jugend. Dieſelben Gaben, welche empfänglich machten, wirkten auch lebhaft zu- rück; die geiſtige Lebenskraft war überall ſo ſtärkend gegen- wärtig, daß bei ſolcher Hülfe die Natur auch die größten Bürden nur leicht zu tragen ſchien. Einzelne bedeutende Krankheiten, von eigenthümlicher Geſtalt und Heftigkeit, wichen neubelebtem Wohlſein, und die hergeſtellten Kräfte durf- ten getroſt mit neuen Tagereihen neue Schickungen aufnehmen. Erſt in ſpäteren Jahren, nach vielen Stürmen und Lei- den, die dem feinen und zarten Gewebe dieſes Körpers, in welchem die Seele ſchon immer ſchweſterlich aushalf, aber ihrerſeits eine Stütze nicht wiederfand, endlich vielfache Be- ſchädigung gebracht hatten, mußte die Geſundheit ein Gegen- ſtand ernſtlicher und ununterbrochener Sorgfalt werden; die jedoch durch williges Selbſtvergeſſen, wo es galt für Andre thätig und liebreich zu ſein, ſo wie durch unvermeidliche neue Erſchütterungen, nur allzu oft geſtört wurde.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/44>, abgerufen am 29.04.2024.