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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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dings sehr leid, Johanna nicht zu sehen: und sie verliert
auch.

Stieglitz ist, auch wie ich glaube, so wie Sie sagen,
und wenn ein solcher Karakter Einfluß hat, so wissen Sie
wie er ihn hat; da er ohnehin die Welt mit ihren Heeren
von Ordnungen in seinen Reihen für sich hat, und Muth
dazu gehört, sich mit fremder Macht neben diese Reihen zu
stellen, denn mit Vortreten richtet man nichts aus; obgleich
man sich -- Noth am Mann -- auch dahin muß (wenig-
stens mit einem, mit dem ich mein Leben zubringen will,
denn es ist doch besser einmal zu streiten, als ewig zu fin-
giren) stellen können. Was die erhabenen Klatscher anbe-
trifft; so sind sie mir ihrer Erhabenheit halber noch gleich-
gültiger, als andre Klatscher, weil ich so was nie anders als
mit völliger Gleichgültigkeit verachte; so, daß ich mir nicht
einmal die Mühe geben kann, die es erfordert, um aus dem
Geklatsche klug zu werden: glauben Sie ja nicht, daß das
nur Worte sind, Sie würden dabei verlieren, wenn auch nur
Wahrheit. Unausstehlicher sind mir aber doch kluge Klatscher
mehr als dumme, und es kömmt mir darum an denen häßli-
cher vor, weil es mir scheint, bei jenen muß ein gemeiner pli
im Gemüthe noch hervorbringen, was bei diesen nur der ge-
meine Verstand, und Leere und Langeweile und Unüberlegt-
heit thut. Eins hab' ich vergessen: ich hasse wie Sie Koket-
terie ohne Kourage; ich für mein Theil zieh die Menschen
auch öffentlich vor, die ich auszeichne, aus Furcht und Kühn-
heit, weil ich denke: warum denn nicht? nicht meine bessre
Wahl so gut als ihre schlechte? und aus Furcht, ich könne

dings ſehr leid, Johanna nicht zu ſehen: und ſie verliert
auch.

Stieglitz iſt, auch wie ich glaube, ſo wie Sie ſagen,
und wenn ein ſolcher Karakter Einfluß hat, ſo wiſſen Sie
wie er ihn hat; da er ohnehin die Welt mit ihren Heeren
von Ordnungen in ſeinen Reihen für ſich hat, und Muth
dazu gehört, ſich mit fremder Macht neben dieſe Reihen zu
ſtellen, denn mit Vortreten richtet man nichts aus; obgleich
man ſich — Noth am Mann — auch dahin muß (wenig-
ſtens mit einem, mit dem ich mein Leben zubringen will,
denn es iſt doch beſſer einmal zu ſtreiten, als ewig zu fin-
giren) ſtellen können. Was die erhabenen Klatſcher anbe-
trifft; ſo ſind ſie mir ihrer Erhabenheit halber noch gleich-
gültiger, als andre Klatſcher, weil ich ſo was nie anders als
mit völliger Gleichgültigkeit verachte; ſo, daß ich mir nicht
einmal die Mühe geben kann, die es erfordert, um aus dem
Geklatſche klug zu werden: glauben Sie ja nicht, daß das
nur Worte ſind, Sie würden dabei verlieren, wenn auch nur
Wahrheit. Unausſtehlicher ſind mir aber doch kluge Klatſcher
mehr als dumme, und es kömmt mir darum an denen häßli-
cher vor, weil es mir ſcheint, bei jenen muß ein gemeiner pli
im Gemüthe noch hervorbringen, was bei dieſen nur der ge-
meine Verſtand, und Leere und Langeweile und Unüberlegt-
heit thut. Eins hab’ ich vergeſſen: ich haſſe wie Sie Koket-
terie ohne Kourage; ich für mein Theil zieh die Menſchen
auch öffentlich vor, die ich auszeichne, aus Furcht und Kühn-
heit, weil ich denke: warum denn nicht? nicht meine beſſre
Wahl ſo gut als ihre ſchlechte? und aus Furcht, ich könne

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[78/0092] dings ſehr leid, Johanna nicht zu ſehen: und ſie verliert auch. Stieglitz iſt, auch wie ich glaube, ſo wie Sie ſagen, und wenn ein ſolcher Karakter Einfluß hat, ſo wiſſen Sie wie er ihn hat; da er ohnehin die Welt mit ihren Heeren von Ordnungen in ſeinen Reihen für ſich hat, und Muth dazu gehört, ſich mit fremder Macht neben dieſe Reihen zu ſtellen, denn mit Vortreten richtet man nichts aus; obgleich man ſich — Noth am Mann — auch dahin muß (wenig- ſtens mit einem, mit dem ich mein Leben zubringen will, denn es iſt doch beſſer einmal zu ſtreiten, als ewig zu fin- giren) ſtellen können. Was die erhabenen Klatſcher anbe- trifft; ſo ſind ſie mir ihrer Erhabenheit halber noch gleich- gültiger, als andre Klatſcher, weil ich ſo was nie anders als mit völliger Gleichgültigkeit verachte; ſo, daß ich mir nicht einmal die Mühe geben kann, die es erfordert, um aus dem Geklatſche klug zu werden: glauben Sie ja nicht, daß das nur Worte ſind, Sie würden dabei verlieren, wenn auch nur Wahrheit. Unausſtehlicher ſind mir aber doch kluge Klatſcher mehr als dumme, und es kömmt mir darum an denen häßli- cher vor, weil es mir ſcheint, bei jenen muß ein gemeiner pli im Gemüthe noch hervorbringen, was bei dieſen nur der ge- meine Verſtand, und Leere und Langeweile und Unüberlegt- heit thut. Eins hab’ ich vergeſſen: ich haſſe wie Sie Koket- terie ohne Kourage; ich für mein Theil zieh die Menſchen auch öffentlich vor, die ich auszeichne, aus Furcht und Kühn- heit, weil ich denke: warum denn nicht? nicht meine beſſre Wahl ſo gut als ihre ſchlechte? und aus Furcht, ich könne

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/92>, abgerufen am 27.04.2024.