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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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in überschwängliches Entzücken, wie zusammenge-
flossene Wölkchen ins glühende wallende Meer der
Abendröthe.

Du führtest mich mit dir fort, die Bebende,
wie der kühne Adler die zarte Taube. Jch folgte
dir und schwindelte nicht.

Mein Jnneres entfaltete sich, wie der lebens-
reiche geschlossene Blumenkeim, an deinem Busen,
Geliebter, an deinem Munde! Du dachtest und
ich fühlte, du dachtest und ich ahnte. Du warst
der schaffende kräftige Sinn: ich war, voll erwie-
dernder Liebe, voll Willen und Neigung, die Ueber-
legung, und aus uns entsprossen, wie heitere lä-
chelnde Kinder, die Weisheit und Tugend.

Jch hieng an dir mit einem Busen voll Liebe,
wie Jmmergrün um sonnige Felsen, und wir
schwärmten, wie jugendliche Sommervögel, um al-
les Gute und Schöne, und sogen jene Fülle dar-
aus, jene allbeseelte Jnnigkeit, die so lebendig
macht, so offen für jede Stimme der Gottheit in
uns und außer uns.

Unser ganzes Wesen war Andacht. Wenn wir
wandelten in der Natur, unser Jnneres so wogte

7 *

in uͤberſchwaͤngliches Entzuͤcken, wie zuſammenge-
floſſene Woͤlkchen ins gluͤhende wallende Meer der
Abendroͤthe.

Du fuͤhrteſt mich mit dir fort, die Bebende,
wie der kuͤhne Adler die zarte Taube. Jch folgte
dir und ſchwindelte nicht.

Mein Jnneres entfaltete ſich, wie der lebens-
reiche geſchloſſene Blumenkeim, an deinem Buſen,
Geliebter, an deinem Munde! Du dachteſt und
ich fuͤhlte, du dachteſt und ich ahnte. Du warſt
der ſchaffende kraͤftige Sinn: ich war, voll erwie-
dernder Liebe, voll Willen und Neigung, die Ueber-
legung, und aus uns entſproſſen, wie heitere laͤ-
chelnde Kinder, die Weisheit und Tugend.

Jch hieng an dir mit einem Buſen voll Liebe,
wie Jmmergruͤn um ſonnige Felſen, und wir
ſchwaͤrmten, wie jugendliche Sommervoͤgel, um al-
les Gute und Schoͤne, und ſogen jene Fuͤlle dar-
aus, jene allbeſeelte Jnnigkeit, die ſo lebendig
macht, ſo offen fuͤr jede Stimme der Gottheit in
uns und außer uns.

Unſer ganzes Weſen war Andacht. Wenn wir
wandelten in der Natur, unſer Jnneres ſo wogte

7 *
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[99/0099] in uͤberſchwaͤngliches Entzuͤcken, wie zuſammenge- floſſene Woͤlkchen ins gluͤhende wallende Meer der Abendroͤthe. Du fuͤhrteſt mich mit dir fort, die Bebende, wie der kuͤhne Adler die zarte Taube. Jch folgte dir und ſchwindelte nicht. Mein Jnneres entfaltete ſich, wie der lebens- reiche geſchloſſene Blumenkeim, an deinem Buſen, Geliebter, an deinem Munde! Du dachteſt und ich fuͤhlte, du dachteſt und ich ahnte. Du warſt der ſchaffende kraͤftige Sinn: ich war, voll erwie- dernder Liebe, voll Willen und Neigung, die Ueber- legung, und aus uns entſproſſen, wie heitere laͤ- chelnde Kinder, die Weisheit und Tugend. Jch hieng an dir mit einem Buſen voll Liebe, wie Jmmergruͤn um ſonnige Felſen, und wir ſchwaͤrmten, wie jugendliche Sommervoͤgel, um al- les Gute und Schoͤne, und ſogen jene Fuͤlle dar- aus, jene allbeſeelte Jnnigkeit, die ſo lebendig macht, ſo offen fuͤr jede Stimme der Gottheit in uns und außer uns. Unſer ganzes Weſen war Andacht. Wenn wir wandelten in der Natur, unſer Jnneres ſo wogte 7 *

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/99>, abgerufen am 26.04.2024.