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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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45.
Kurz, sprach sie, vor der abendzeit
Ließ auf der höh' sich eine Barke sehen;
Sie flog daher mit vogelsschnelligkeit,
Die segel schien ein frischer wind zu blähen.
Auf einmal stürzt aus wolkenlosen höhen
Zikzak ein feur'ger stral herab,
Und mit dem ersten stoß, den ihm ein sturmwind gab,
Sieht man das ganze schiff in voller flamme stehen.
46.
An löschen denkt kein mensch in solcher noth.
Das feuer tobt. Vom fürchterlichsten tod
Umschlungen, springt aus seinem flammenrachen
Wer springen kann, und wirft sich in den nachen.
Der wind macht bald sie von dem schiffe los,
Treibt sie dem ufer zu; doch, eine viertelstunde
Vom strand, ergreift den kahn ein neuer wirbelstoß,
Und stürzt ihn um, und alles geht zu grunde.
47.
Die leute schreyn umsonst zu ihrem Mahom auf,
Arbeiten, mit der angestrengten stärke
Der todesangst, umsonst sich aus der flut herauf!
Nur eine einzge Frau, die sich zum augenmerke
Der Himmel nahm, entrinnet der gefahr,
Wird auf den wellen, wie auf einem wagen,
Ganz unversehrt, und unbenezt sogar,
Dem nahen ufer zugetragen.
48. Von
45.
Kurz, ſprach ſie, vor der abendzeit
Ließ auf der hoͤh' ſich eine Barke ſehen;
Sie flog daher mit vogelsſchnelligkeit,
Die ſegel ſchien ein friſcher wind zu blaͤhen.
Auf einmal ſtuͤrzt aus wolkenloſen hoͤhen
Zikzak ein feur'ger ſtral herab,
Und mit dem erſten ſtoß, den ihm ein ſturmwind gab,
Sieht man das ganze ſchiff in voller flamme ſtehen.
46.
An loͤſchen denkt kein menſch in ſolcher noth.
Das feuer tobt. Vom fuͤrchterlichſten tod
Umſchlungen, ſpringt aus ſeinem flammenrachen
Wer ſpringen kann, und wirft ſich in den nachen.
Der wind macht bald ſie von dem ſchiffe los,
Treibt ſie dem ufer zu; doch, eine viertelſtunde
Vom ſtrand, ergreift den kahn ein neuer wirbelſtoß,
Und ſtuͤrzt ihn um, und alles geht zu grunde.
47.
Die leute ſchreyn umſonſt zu ihrem Mahom auf,
Arbeiten, mit der angeſtrengten ſtaͤrke
Der todesangſt, umſonſt ſich aus der flut herauf!
Nur eine einzge Frau, die ſich zum augenmerke
Der Himmel nahm, entrinnet der gefahr,
Wird auf den wellen, wie auf einem wagen,
Ganz unverſehrt, und unbenezt ſogar,
Dem nahen ufer zugetragen.
48. Von
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[0261] 45. Kurz, ſprach ſie, vor der abendzeit Ließ auf der hoͤh' ſich eine Barke ſehen; Sie flog daher mit vogelsſchnelligkeit, Die ſegel ſchien ein friſcher wind zu blaͤhen. Auf einmal ſtuͤrzt aus wolkenloſen hoͤhen Zikzak ein feur'ger ſtral herab, Und mit dem erſten ſtoß, den ihm ein ſturmwind gab, Sieht man das ganze ſchiff in voller flamme ſtehen. 46. An loͤſchen denkt kein menſch in ſolcher noth. Das feuer tobt. Vom fuͤrchterlichſten tod Umſchlungen, ſpringt aus ſeinem flammenrachen Wer ſpringen kann, und wirft ſich in den nachen. Der wind macht bald ſie von dem ſchiffe los, Treibt ſie dem ufer zu; doch, eine viertelſtunde Vom ſtrand, ergreift den kahn ein neuer wirbelſtoß, Und ſtuͤrzt ihn um, und alles geht zu grunde. 47. Die leute ſchreyn umſonſt zu ihrem Mahom auf, Arbeiten, mit der angeſtrengten ſtaͤrke Der todesangſt, umſonſt ſich aus der flut herauf! Nur eine einzge Frau, die ſich zum augenmerke Der Himmel nahm, entrinnet der gefahr, Wird auf den wellen, wie auf einem wagen, Ganz unverſehrt, und unbenezt ſogar, Dem nahen ufer zugetragen. 48. Von

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/261>, abgerufen am 14.05.2024.