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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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45.
Jedoch, seit einem zwischenraum
Von wenig wochen, hat sich alles umgekehret.
Seitdem kann Rezia den armen Prinzen kaum
Vor augen sehn. Ihr ganzes herz empöret
Sich, wenn sie nur von hochzeit reden höret;
Und was unglaublich ist, so hat ein bloßer traum
Die schuld daran -- Ein traum? ruft Hüon ganz in feuer;
Ein traum? ruft Scherasmin; welch seltsam abenteuer!
46.
Ihr träumte, fährt die Alte fort,
Sie werd' in Rehgestalt an einem wilden ort
Von Babekan gejagt. Sie lief, von zwanzig hunden
Verfolgt, in todesangst herab von einem berg;
Ihm zu entfliehen war die hoffnung schon verschwunden:
Da kam ein wunderschöner Zwerg
In einem Faeton, den junge Löwen zogen,
In vollem sprung entgegen ihr geflogen.
47.
Der Zwerg in seiner kleinen hand
Hielt einen blühnden lilienstängel,
Und ihm zur seite saß ein fremder junger Fant,
In Ritterschmuk, schön wie ein baarer Engel;
Sein blaues aug, sein langes gelbes haar
Verrieth, daß Asien nicht sein geburtsland war;
Doch, wo er immer hergekommen,
Genug, ihr herzchen ward beym ersten blik genommen.
48. Der
F 3
45.
Jedoch, ſeit einem zwiſchenraum
Von wenig wochen, hat ſich alles umgekehret.
Seitdem kann Rezia den armen Prinzen kaum
Vor augen ſehn. Ihr ganzes herz empoͤret
Sich, wenn ſie nur von hochzeit reden hoͤret;
Und was unglaublich iſt, ſo hat ein bloßer traum
Die ſchuld daran — Ein traum? ruft Huͤon ganz in feuer;
Ein traum? ruft Scherasmin; welch ſeltſam abenteuer!
46.
Ihr traͤumte, faͤhrt die Alte fort,
Sie werd' in Rehgeſtalt an einem wilden ort
Von Babekan gejagt. Sie lief, von zwanzig hunden
Verfolgt, in todesangſt herab von einem berg;
Ihm zu entfliehen war die hoffnung ſchon verſchwunden:
Da kam ein wunderſchoͤner Zwerg
In einem Faeton, den junge Loͤwen zogen,
In vollem ſprung entgegen ihr geflogen.
47.
Der Zwerg in ſeiner kleinen hand
Hielt einen bluͤhnden lilienſtaͤngel,
Und ihm zur ſeite ſaß ein fremder junger Fant,
In Ritterſchmuk, ſchoͤn wie ein baarer Engel;
Sein blaues aug, ſein langes gelbes haar
Verrieth, daß Aſien nicht ſein geburtsland war;
Doch, wo er immer hergekommen,
Genug, ihr herzchen ward beym erſten blik genommen.
48. Der
F 3
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[0091] 45. Jedoch, ſeit einem zwiſchenraum Von wenig wochen, hat ſich alles umgekehret. Seitdem kann Rezia den armen Prinzen kaum Vor augen ſehn. Ihr ganzes herz empoͤret Sich, wenn ſie nur von hochzeit reden hoͤret; Und was unglaublich iſt, ſo hat ein bloßer traum Die ſchuld daran — Ein traum? ruft Huͤon ganz in feuer; Ein traum? ruft Scherasmin; welch ſeltſam abenteuer! 46. Ihr traͤumte, faͤhrt die Alte fort, Sie werd' in Rehgeſtalt an einem wilden ort Von Babekan gejagt. Sie lief, von zwanzig hunden Verfolgt, in todesangſt herab von einem berg; Ihm zu entfliehen war die hoffnung ſchon verſchwunden: Da kam ein wunderſchoͤner Zwerg In einem Faeton, den junge Loͤwen zogen, In vollem ſprung entgegen ihr geflogen. 47. Der Zwerg in ſeiner kleinen hand Hielt einen bluͤhnden lilienſtaͤngel, Und ihm zur ſeite ſaß ein fremder junger Fant, In Ritterſchmuk, ſchoͤn wie ein baarer Engel; Sein blaues aug, ſein langes gelbes haar Verrieth, daß Aſien nicht ſein geburtsland war; Doch, wo er immer hergekommen, Genug, ihr herzchen ward beym erſten blik genommen. 48. Der F 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/91>, abgerufen am 29.04.2024.