Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
57.
Wo kam er her? Warum? Wer ist er? Zwanzig Fragen
Zu diesem zwek, die schon auf ihrer zunge lagen,
Erstikte Hüons ernst. Er stellte sich der ruh
Bedürftig, legte sich auf seiner streu zurechte.
Die Alte wünscht, daß ihm was süßes träumen möchte,
Und trippelt weg, und schließt die thüre nach sich zu.
Allein wurmstichig war die thür und hatte spalten,
Und vorwiz jukt das ohr der guten Alten.
58.
Sie schleicht zurük, und drükt so fest sie kann
Ihr lauschend ohr an eine ritze,
Und horcht mit offnem mund und hält den athem an.
Die Fremden sprachen laut, und wie es schien, mit hitze;
Sie hörte jedes wort; nur, leider! war kein sinn
Für eine alte frau von Babylon darinn:
Doch kann sie dann und wann, zum trost in diesem leiden,
Den namen Rezia ganz deutlich unterscheiden.
59.
Wie wundervoll mein schiksal sich entspinnt,
(Rief Hüon aus) wie wahr hat Oberon gesprochen:
Schwach ist das Erdenvolk und für die zukunft blind!
Karl denkt, er habe mir gewiß den hals gebrochen;
Auf mein verderben zielt sein auftrag sichtlich ab,
Und blindlings thut er bloß den willen des geschickes;
Der schöne Zwerg rekt seinen lilienstab,
Und leitet mich im traum zur quelle meines glückes.
60. Und
F 5
57.
Wo kam er her? Warum? Wer iſt er? Zwanzig Fragen
Zu dieſem zwek, die ſchon auf ihrer zunge lagen,
Erſtikte Huͤons ernſt. Er ſtellte ſich der ruh
Beduͤrftig, legte ſich auf ſeiner ſtreu zurechte.
Die Alte wuͤnſcht, daß ihm was ſuͤßes traͤumen moͤchte,
Und trippelt weg, und ſchließt die thuͤre nach ſich zu.
Allein wurmſtichig war die thuͤr und hatte ſpalten,
Und vorwiz jukt das ohr der guten Alten.
58.
Sie ſchleicht zuruͤk, und druͤkt ſo feſt ſie kann
Ihr lauſchend ohr an eine ritze,
Und horcht mit offnem mund und haͤlt den athem an.
Die Fremden ſprachen laut, und wie es ſchien, mit hitze;
Sie hoͤrte jedes wort; nur, leider! war kein ſinn
Fuͤr eine alte frau von Babylon darinn:
Doch kann ſie dann und wann, zum troſt in dieſem leiden,
Den namen Rezia ganz deutlich unterſcheiden.
59.
Wie wundervoll mein ſchikſal ſich entſpinnt,
(Rief Huͤon aus) wie wahr hat Oberon geſprochen:
Schwach iſt das Erdenvolk und fuͤr die zukunft blind!
Karl denkt, er habe mir gewiß den hals gebrochen;
Auf mein verderben zielt ſein auftrag ſichtlich ab,
Und blindlings thut er bloß den willen des geſchickes;
Der ſchoͤne Zwerg rekt ſeinen lilienſtab,
Und leitet mich im traum zur quelle meines gluͤckes.
60. Und
F 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0095"/>
            <lg n="57">
              <head> <hi rendition="#c">57.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">W</hi>o kam er her? Warum? Wer i&#x017F;t er? Zwanzig Fragen</l><lb/>
              <l>Zu die&#x017F;em zwek, die &#x017F;chon auf ihrer zunge lagen,</l><lb/>
              <l>Er&#x017F;tikte Hu&#x0364;ons ern&#x017F;t. Er &#x017F;tellte &#x017F;ich der ruh</l><lb/>
              <l>Bedu&#x0364;rftig, legte &#x017F;ich auf &#x017F;einer &#x017F;treu zurechte.</l><lb/>
              <l>Die Alte wu&#x0364;n&#x017F;cht, daß ihm was &#x017F;u&#x0364;ßes tra&#x0364;umen mo&#x0364;chte,</l><lb/>
              <l>Und trippelt weg, und &#x017F;chließt die thu&#x0364;re nach &#x017F;ich zu.</l><lb/>
              <l>Allein wurm&#x017F;tichig war die thu&#x0364;r und hatte &#x017F;palten,</l><lb/>
              <l>Und vorwiz jukt das ohr der guten Alten.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="58">
              <head> <hi rendition="#c">58.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">S</hi>ie &#x017F;chleicht zuru&#x0364;k, und dru&#x0364;kt &#x017F;o fe&#x017F;t &#x017F;ie kann</l><lb/>
              <l>Ihr lau&#x017F;chend ohr an eine ritze,</l><lb/>
              <l>Und horcht mit offnem mund und ha&#x0364;lt den athem an.</l><lb/>
              <l>Die Fremden &#x017F;prachen laut, und wie es &#x017F;chien, mit hitze;</l><lb/>
              <l>Sie ho&#x0364;rte jedes wort; nur, leider! war kein &#x017F;inn</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;r eine alte frau von Babylon darinn:</l><lb/>
              <l>Doch kann &#x017F;ie dann und wann, zum tro&#x017F;t in die&#x017F;em leiden,</l><lb/>
              <l>Den namen Rezia ganz deutlich unter&#x017F;cheiden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="59">
              <head> <hi rendition="#c">59.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">W</hi>ie wundervoll mein &#x017F;chik&#x017F;al &#x017F;ich ent&#x017F;pinnt,</l><lb/>
              <l>(Rief Hu&#x0364;on aus) wie wahr hat Oberon ge&#x017F;prochen:</l><lb/>
              <l>Schwach i&#x017F;t das Erdenvolk und fu&#x0364;r die zukunft blind!</l><lb/>
              <l>Karl denkt, er habe mir gewiß den hals gebrochen;</l><lb/>
              <l>Auf mein verderben zielt &#x017F;ein auftrag &#x017F;ichtlich ab,</l><lb/>
              <l>Und blindlings thut er bloß den willen des ge&#x017F;chickes;</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;cho&#x0364;ne Zwerg rekt &#x017F;einen lilien&#x017F;tab,</l><lb/>
              <l>Und leitet mich im traum zur quelle meines glu&#x0364;ckes.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">F 5</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">60. Und</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] 57. Wo kam er her? Warum? Wer iſt er? Zwanzig Fragen Zu dieſem zwek, die ſchon auf ihrer zunge lagen, Erſtikte Huͤons ernſt. Er ſtellte ſich der ruh Beduͤrftig, legte ſich auf ſeiner ſtreu zurechte. Die Alte wuͤnſcht, daß ihm was ſuͤßes traͤumen moͤchte, Und trippelt weg, und ſchließt die thuͤre nach ſich zu. Allein wurmſtichig war die thuͤr und hatte ſpalten, Und vorwiz jukt das ohr der guten Alten. 58. Sie ſchleicht zuruͤk, und druͤkt ſo feſt ſie kann Ihr lauſchend ohr an eine ritze, Und horcht mit offnem mund und haͤlt den athem an. Die Fremden ſprachen laut, und wie es ſchien, mit hitze; Sie hoͤrte jedes wort; nur, leider! war kein ſinn Fuͤr eine alte frau von Babylon darinn: Doch kann ſie dann und wann, zum troſt in dieſem leiden, Den namen Rezia ganz deutlich unterſcheiden. 59. Wie wundervoll mein ſchikſal ſich entſpinnt, (Rief Huͤon aus) wie wahr hat Oberon geſprochen: Schwach iſt das Erdenvolk und fuͤr die zukunft blind! Karl denkt, er habe mir gewiß den hals gebrochen; Auf mein verderben zielt ſein auftrag ſichtlich ab, Und blindlings thut er bloß den willen des geſchickes; Der ſchoͤne Zwerg rekt ſeinen lilienſtab, Und leitet mich im traum zur quelle meines gluͤckes. 60. Und F 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/95
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/95>, abgerufen am 29.04.2024.