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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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60.
Und daß (ruft Scherasmin) die Jungfrau, die im traum
Das herz euch nahm, gerade die Infante
Des Sultans ist, die Karl zu eurer braut ernannte;
Daß alles so sich schikt, und daß auch Sie im traum
Wie ihr in sie, in euch entbrannte --
So etwas glaubte man ja seinen augen kaum!
Und doch, spricht Hüon, hats die Alte nicht erfunden,
Den knoten hat das Schiksal selbst gewunden.
61.
Nur wie er aufzulösen sey,
Da liegt die schwierigkeit! -- Mich sollte das nicht plagen,
Erwiedert Scherasmin; Herr, darf ich ungescheut
Euch meine schlechte meynung sagen?
Ich macht' es kurz und schnitt' ihn frisch entzwey.
Dem Junker linker hand ließ' ich den lustpaß frey,
Und dem Kalifen seine zähne,
Und hielte mich an meine Dulzimene.
62.
Bedenkts nur selbst, in ihrer Gegenwart
Die Ceremonie mit kopfab anzufangen,
Hernach vier backenzähn und eine handvoll bart
Dem alten Sultan abverlangen,
Und vor der Nas' ihm gar sein einzig kind umfangen,
Bey Gott! das hat doch keine art!
Das Schiksal kann unmöglich wollen,
Daß wir das ziel uns selbst so grob verrücken sollen.
63. Zum
60.
Und daß (ruft Scherasmin) die Jungfrau, die im traum
Das herz euch nahm, gerade die Infante
Des Sultans iſt, die Karl zu eurer braut ernannte;
Daß alles ſo ſich ſchikt, und daß auch Sie im traum
Wie ihr in ſie, in euch entbrannte —
So etwas glaubte man ja ſeinen augen kaum!
Und doch, ſpricht Huͤon, hats die Alte nicht erfunden,
Den knoten hat das Schikſal ſelbſt gewunden.
61.
Nur wie er aufzuloͤſen ſey,
Da liegt die ſchwierigkeit! — Mich ſollte das nicht plagen,
Erwiedert Scherasmin; Herr, darf ich ungeſcheut
Euch meine ſchlechte meynung ſagen?
Ich macht' es kurz und ſchnitt' ihn friſch entzwey.
Dem Junker linker hand ließ' ich den luſtpaß frey,
Und dem Kalifen ſeine zaͤhne,
Und hielte mich an meine Dulzimene.
62.
Bedenkts nur ſelbſt, in ihrer Gegenwart
Die Ceremonie mit kopfab anzufangen,
Hernach vier backenzaͤhn und eine handvoll bart
Dem alten Sultan abverlangen,
Und vor der Naſ' ihm gar ſein einzig kind umfangen,
Bey Gott! das hat doch keine art!
Das Schikſal kann unmoͤglich wollen,
Daß wir das ziel uns ſelbſt ſo grob verruͤcken ſollen.
63. Zum
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[0096] 60. Und daß (ruft Scherasmin) die Jungfrau, die im traum Das herz euch nahm, gerade die Infante Des Sultans iſt, die Karl zu eurer braut ernannte; Daß alles ſo ſich ſchikt, und daß auch Sie im traum Wie ihr in ſie, in euch entbrannte — So etwas glaubte man ja ſeinen augen kaum! Und doch, ſpricht Huͤon, hats die Alte nicht erfunden, Den knoten hat das Schikſal ſelbſt gewunden. 61. Nur wie er aufzuloͤſen ſey, Da liegt die ſchwierigkeit! — Mich ſollte das nicht plagen, Erwiedert Scherasmin; Herr, darf ich ungeſcheut Euch meine ſchlechte meynung ſagen? Ich macht' es kurz und ſchnitt' ihn friſch entzwey. Dem Junker linker hand ließ' ich den luſtpaß frey, Und dem Kalifen ſeine zaͤhne, Und hielte mich an meine Dulzimene. 62. Bedenkts nur ſelbſt, in ihrer Gegenwart Die Ceremonie mit kopfab anzufangen, Hernach vier backenzaͤhn und eine handvoll bart Dem alten Sultan abverlangen, Und vor der Naſ' ihm gar ſein einzig kind umfangen, Bey Gott! das hat doch keine art! Das Schikſal kann unmoͤglich wollen, Daß wir das ziel uns ſelbſt ſo grob verruͤcken ſollen. 63. Zum

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/96>, abgerufen am 29.04.2024.