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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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"So geht's, wenn ein Mädel zwei Knaben lieb hat, pwo_166.002
Thut wunderselten gut; pwo_166.003
Das haben wir beid erfahren, pwo_166.004
Was falsche Liebe thut."
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Didaktisch in eine Moral von der Geschicht mündet die Schlußbetrachtung:

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"Also ein böses Weib wohl kann pwo_166.008
Bös machen einen frommen Mann."
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Nachdem so zunächst die allgemeine Wahrheit aus dem konkreten Fall pwo_166.010
gezogen, geht der Dichter zur subjektiven Erörterung der Folgen über:

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"Hat diese Frau durch Schläge sich pwo_166.012
Bekehrt, das soll fast wundern mich."
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Allgemeine Begründung:

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"Denn man schlägt wohl 'raus einen Teufel, pwo_166.015
Sechs aber drein ohn' allen Zweifel."
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Und nun ein ausdrücklich didaktischer Antrieb:

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"Doch die dem Mann nicht folget bald, pwo_166.018
Die soll er schlagen warm und kalt."
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Jnmitten der Darstellung ist die Frageform kaum minder beliebt pwo_166.020
als am Eingang und Schluß.

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"Es wollt ein Mädchen Rosen brechen gehn, pwo_166.022
Wohl in die grüne Haide. pwo_166.023
Was fand sie da am Wege stehn? pwo_166.024
Eine Hasel, die war grüne."
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Jm folgenden setzt eine Unterhaltung des Mädchens mit der Hasel pwo_166.026
ein; aber schon in dieser Einführungsstrophe färbt der Dichter seine pwo_166.027
Erzählung dialogisch: die Frage ist gleichsam den Hörern vom Munde pwo_166.028
gelesen, Ausdruck ihrer lebhaften, gefühlvollen Teilnahme.

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Wie im alten Heldensang nimmt die Antwort gern die Wendungen pwo_166.030
der Frage auf, wie überhaupt Wiederholungen und paralleler pwo_166.031
Satzbau ein beliebtes Darstellungsmittel bilden:

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",Guten Tag, guten Tag, liebe Hasel mein; pwo_166.033
Warum bist du so grüne?' - pwo_166.034
,Hab Dank, hab Dank, wackres Mägdelein; pwo_166.035
Warum bist du so schöne?' -
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Thut wunderselten gut; pwo_166.003
Das haben wir beid erfahren, pwo_166.004
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„Hat diese Frau durch Schläge sich pwo_166.012
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Allgemeine Begründung:

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Sechs aber drein ohn' allen Zweifel.“
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„Doch die dem Mann nicht folget bald, pwo_166.018
Die soll er schlagen warm und kalt.“
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  Wie im alten Heldensang nimmt die Antwort gern die Wendungen pwo_166.030
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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/180>, abgerufen am 29.04.2024.