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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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sprache gegenwärtiger Empfindungen
aus, obschon sie die pwo_177.002
Erzählung von Erlebnissen als gefühlserregenden Momenten noch pwo_177.003
weithin beibehält. Die Lyrik ist Kundgabe und Vermittlung pwo_177.004
lebhafter Empfindungen über einen dargestellten, allgemeiner pwo_177.005
Teilnahme würdigen Gegenstand.

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Aus epischem Charakter tritt die Erzählung schon durch Zuthat pwo_177.007
von Jnterjektionen, Aus- und Anrufen zum Ausdruck und Vermitteln pwo_177.008
von bestimmten Empfindungen über den dargestellten pwo_177.009
Gegenstand
heraus. Mit zunehmendem Reflexionsvermögen wächst pwo_177.010
der Gefühlsausbruch an Ausdehnung und Differenzierung. Ziel wird: pwo_177.011
die Vermitlung von Gefühlen durch vollendet objektive pwo_177.012
Darstellung der gefühlserregen den Momente.

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Ueber diese Harmonie zwischen Außen- und Jnnenwelt wächst pwo_177.014
die lyrische Form ihrer Verflüchtigung entgegen durch immer ausschließlichere pwo_177.015
Aussprache der Empfindungen selbst, unter Beiseiteschiebung pwo_177.016
der sie anregenden oder begleitenden Thatsachen und Vorgänge. pwo_177.017
Diese Entwicklung kann durch fremde Einflüsse beschleunigt werden.

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Zu der religiösen gesellt sich die weltliche Lyrik. Mit zunehmender pwo_177.019
Ausbreitung der Kultur geht die Ausübung der lyrischen pwo_177.020
Dichtkunst von den oberen Ständen in weitere Volkskreise, die vordem pwo_177.021
über sporadische Ansätze zu Gefühlsinterjektion nicht wesentlich hinausgelangt pwo_177.022
scheinen. Ursprünglich durchaus für den Gesang, zunächst pwo_177.023
sogar unter Jnstrumentalbegleitung, bestimmt - Lyrik von Lyra -, pwo_177.024
erfährt sie eine epochemachende, wennschon nicht heilsame Bereicherung pwo_177.025
durch Hinzutritt litterarischer Lyrik, deren Stil sich entsprechend der pwo_177.026
veränderten Vortragsart gestaltet.

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Zunächst zielt die Lyrik auf Aussprache allgemeiner, typischer pwo_177.028
Empfindungen. Mit anwachsender Ausbildung der Jndividualität pwo_177.029
differenzieren sich die Gefühle je nach der Persönlichkeit. pwo_177.030
Durch Gegenüberstellung verschiedener Jndividualitäten geht die Lyrik pwo_177.031
in dramatischen Charakter über.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/191>, abgerufen am 29.04.2024.